Die von der SPD beantragte „aktuelle Debatte“ am Mittwoch im Landtag handelte von einem bestimmten Thema des technischen Fortschritts: Wie kann der Windstrom, der vor allem an der Nordseeküste erzeugt wird, möglichst reibungslos mit neuen Leitungen Richtung Süden zu den dortigen Industriezentren gebracht werden? Der SPD-Abgeordnete Volker Senftleben aus Alfeld sprach von einer „Umwandlung von Strom in Gas“, dies könne auf klimaschonende Art geschehen und habe den Nebeneffekt, die vorhandenen Gasrohre dafür nutzen zu können. Umweltminister Olaf Lies (SPD) führte diese Überlegung weiter aus: Zum gut ausgebauten Gasnetz komme hinzu, dass es in Niedersachsen viele Gas-Speicherkapazitäten gebe. In den kommenden Jahren würden viele bisher genutzten Gasleitungen frei. „Es wäre geradezu absurd, wenn wir dieses enorme volkswirtschaftliche Kapital sukzessive entwerten und abschreiben. Wir sollten es stattdessen sinnvoll und effizient nutzen.“ Dazu müssten Strom- und Gasnetze miteinander verknüpft werden, außerdem müsse elektrolytisch erzeugter Wasserstoff „als Brückenschlag“ zwischen beiden Ebenen eingesetzt werden.

Nach Ansicht von Lies ist von Vorteil, dass im vergangenen Jahr schon zwei Konsortien begonnen hätten, an derartigen Projekten zu arbeiten. Es geht um das Vorhaben „Hybridge“ von Amprion und OGE, sowie „Element 1“ von Tennet, Gasunie und Thyssengas. Beide arbeiteten an einer Verbindung von Strom und Gasnetz. Sollten die Projekte rasch zum Erfolg kommen, so könnten „in Niedersachsen bereits in naher Zukunft große Wasserstoffzentren entstehen“. In der Industrie gebe es außerdem viele mögliche Abnehmer für umweltfreundlich erzeugten Wasserstoff. So habe Alstom in Salzgitter den weltweit ersten mit Wasserstoff betriebenen Zug hergestellt. Der CDU-Umweltexperte Martin Bäumer meinte, der große Vorteil dieser Antriebsform sei, dass er ohne Strom-Oberleitungen auskomme. Da die Elektrifizierung von Bahnstrecken aufwendig, teuer und langwierig sei, könne die neue Technologie eine echte Alternative darstellen. Nach Ansicht von Lies könnte Wasserstoff mittel- und langfristig außerdem in Raffinerien zu einer umweltfreundlicheren Kraftstoffproduktion beitragen oder in der Stahl- und Chemieproduktion die fossilen Stoffe schrittweise ersetzen. Bei der Salzgitter AG und bei H & R in Lingen gebe es bereits entsprechende Planungen. Nötig seien allerdings „die richtigen Rahmenbedingungen“, deshalb müssten die rechtlichen Vorgaben auf Bundes- und EU-Ebene angepasst werden. Zwei Bundesratsinitiativen habe er schon auf den Weg gebracht, betonte der Umweltminister.

Es wird neue Leitungen geben müssen, wir kommen nicht daran vorbei.“

Der SPD-Abgeordnete Senftleben meinte, die neue Wasserstofftechnologie sei nicht zuletzt auch ein Weg, die Arbeitsplätze in der Windkraftindustrie Niedersachsens zu halten – weil ein sicheres Verfahren zum Stromtransport auch die Stromproduktion per Windkraft sicherstelle. Die Grünen-Abgeordnete Imke Byl zweifelte am Willen der Koalition: Im Wirklichkeit würden sich Union und SPD nicht genug für die erneuerbaren Energien einsetzen. Anders sei nicht zu erklären, warum der Ausbau der Windenergie immer noch staatlich gedrosselt werde. Stefan Birkner (FDP) warf SPD und CDU vor, sie würden zwar von neuen Technologien und veränderten Verfahren reden, aber sich um eine Antwort auf die naheliegende Frage herummogeln, ob weitere Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland erforderlich sind. „Der Eindruck, man könne darauf verzichten, ist fatal.“ Der CDU-Abgeordnete Bäumer betonte: „Es wird neue Leitungen geben müssen, wir kommen nicht daran vorbei.“ Das von Lies angepriesene neue Wasserstoffverfahren sei immerhin „doch sehr teuer“, gleichwohl aber erstrebenswert. Von Vorteil sei dabei auch, dass man vom russischen Importgas unabhängiger werde. Skeptisch beurteilt Stefan Wirtz (AfD) die Situation: Lies rede von „Zukunftsvisionen“, die Speichermöglichkeiten Strom seien viel zu schnell erschöpft und gute lokale Speicher seien zu teuer. „Vermutlich werden wir noch über Jahre sinnlos Windräder aufstellen, die viel zu viel Strom herstellen, den keiner nutzen kann.“


Lesen Sie auch:

40 Jahre Gorleben – Hat der Treck die deutsche Demokratie nachhaltig verändert?