Noch bilden SPD und CDU im Landtag eine Koalition. Aber wer an der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses teilgenommen hat, der bekommt einen gegenteiligen Eindruck: Über dreieinhalb Stunden wurde Justizministerin Barbara Havliza (CDU) von den Abgeordneten zu der Durchsuchung befragt, die von der Staatsanwaltschaft Osnabrück Anfang September vergangenen Jahres im Bundesfinanz- und im Bundesjustizministerium vollzogen wurde.

Foto: Staatskanzlei

Damals stand der Verdacht im Raum, beide Ministerien könnten mit den offenkundigen Mängeln in Geldwäsche-Ermittlungen zu tun haben, die sich über Jahre in der zuständigen Behörde FIU angestaut haben und in einem konkreten Osnabrücker Fall aufgefallen geworden waren. Die FIU steht unter der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums. War diese Durchsuchung überhaupt angemessen? Darüber scheiden sich heute wie schon im vergangenen September die Geister, und zwar auch innerhalb der Großen Koalition.

Havliza sagte, die Staatsanwaltschaft habe eigenständig entschieden, dafür einen entsprechenden Amtsgerichtsbeschluss erwirkt und sei daraufhin tätig geworden. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich da einzumischen“, sagt sie. Die SPD-Abgeordneten Ulf Prange, Sebastian Zinke und Wiebke Osigus widersprachen, ebenso die Grünen-Fraktionsvorsitzende Julia Hamburg. Sie hakten mehrfach nach und fragten, ob Havliza die Staatsanwaltschaft nicht hätte stoppen sollen – denn hinter der Aktion hätten politische Ziele gestanden. Hamburg mutmaßte, die Staatsanwaltschaft habe willkürlich agiert mit dem Ziel, dem Bundesfinanzminister einen Tag vor einer TV-Debatte zur Bundestagswahl zu schaden. „Der SPD-Spitzenkandidat sollte in den Geruch gebracht werden, er habe strafbewehrte Dinge getan.“

Die Justizministerin sieht das anders. Sie bekräftigte, die Entscheidung der Ermittler gut zu verstehen, denn die Missstände bei der FIU seien gravierend gewesen und seien es jetzt noch. Die Behörde habe Hinweise auf internationalen Waffenhandel und Drogengeschäfte nicht an die Justiz weitergegeben, da ein „risikobasierter Ansatz“ sie dazu angeleitet habe, sich auf Terrorismusfinanzierung zu konzentrieren. Schriftwechsel zu diesem Ansatz gebe es auch in den beiden Bundesministerien. Insgesamt 30.000 Fälle habe die FIU so durchrutschen lassen. Als die Staatsanwaltschaft Osnabrück im August 2020 bei den Ministerien anfragte und um Übermittlung von Unterlagen bat, lehnte im Bundesjustizministerium ein Referatsleiter das Ansinnen ab. Daraufhin entschied die Justizbehörde, einen Durchsuchungsbeschluss auf den Weg zu bringen. Sie wollten die Kommunikation einsehen und ergründen, ob es ministerielle Anweisungen zum Verhalten der FIU gegeben hatte.

„Die Pressemitteilung war nicht falsch, nur unglücklich formuliert.“

Thomas Hackner

Die Sichtweise von SPD und Grünen im Ausschuss war völlig anders: Die Staatsanwaltschaft Osnabrück habe schon 2020 ermittelt und damals schon Unterlagen beschlagnahmt. Dass sie jetzt noch einmal vor der Bundestagswahl tätig wurde, sei entbehrlich gewesen – zumal ein wesentliches Schriftstück sich schon in den 2020 sichergestellten Dokumenten befunden habe (Havliza räumte ein, dass dies von den Ermittlern vor dem neuen Durchsuchungsbeschluss übersehen wurde). Vieles sehe wie eine politische Kampagne aus, so die Presseerklärung der Staatsanwaltschaft von September 2020, in der eine Beziehung von der FIU zum Bundesfinanzministerium hergestellt wurde. „Die war offensichtlich falsch, denn es wurde doch gegen Unbekannt ermittelt“, betonte der SPD-Politiker Ulf Prange. „Die Pressemitteilung war nicht falsch, nur unglücklich formuliert“, entgegnete Thomas Hackner vom Justizministerium. SPD und Grüne ließen im Ausschuss erkennen, ebenso wie Marco Genthe (FDP), dass sie von Havliza zumindest erwarten, Einfluss in Richtung einer behutsameren Formulierung von Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaften auszuüben. Das sagte die Ministerin dann auch zu. Doch eine Beruhigung der Debatte trat nach diesem Hinweis nicht ein.

CDU unterstellt SPD Unterlagen nach einem Regierungswechsel verschwinden zu lassen

Die Stimmung kochte im Laufe des Vormittags hoch, so gifteten sich auch die Vertreter der Koalitionsfraktionen an, die in den vergangenen Jahren immer harmonisch zusammengewirkt hatten. Christian Calderone (CDU) nannte es „durchaus vorstellbar“, dass nach einem Regierungswechsel Unterlagen verschwinden und es deshalb durchaus geboten gewesen sein konnte, mit einer Durchsuchung in der Behörde die Beweise zu sichern. Ulf Prange (SPD) widersprach und meinte: „Es ist doch irrwitzig, den Eindruck zu verbreiten, hier könne alles Mögliche geschreddert werden.“ SPD und Grüne stützten sich in ihrer Argumentation vor allem auf eine Entscheidung des Landgerichts Osnabrück, das erst in der vorigen Woche, am 9. Februar, den im August 2021 festgelegten Durchsuchungsbeschluss aufgehoben hatte – allerdings bezogen allein auf das Bundesjustizministerium. Diese Gerichtsentscheidung zeichnet ein sehr freundliches Bild der Realität in der Bundesregierung. „Im Übrigen ist in bundesdeutschen Behörden grundsätzlich kein Verlust von Aktenbestandteilen oder sonstigen Schriftstücken infolge von Wahlen zu befürchten“, stellte die zwölfte Strafkammer des Landgerichts fest. Bestand also gar keine Verdunkelungsgefahr, weil man deutschen Behörden das nicht zutrauen kann? Das Landgericht ging sogar so weit, den Durchsuchungsbeschluss für die Bundesministerien deshalb zu kritisieren, weil er Reichsbürgern und Corona-Leugnern Munition geben könne und damit dem Ansehen der Bundesrepublik schaden könne.

„Die Staatsanwaltschaft hat frei von politischen Einflüssen zu arbeiten. Selbst wenn ich frühzeitig über diese Aktion informiert worden wäre, hätte ich nicht eingegriffen.“

Barbara Havliza

Im Ausschuss witterte auch der SPD-Politiker Sebastian Zinke einen Skandal „Es ist im vergangenen September bundesweit der Eindruck entstanden, in der Justiz gehe es nicht mit rechten Dingen zu. Die Ministerin tut jetzt aber so, als wäre alles ein normales Verfahren gewesen.“ Havliza widersprach, die Abläufe sprächen vielmehr für die Unabhängigkeit der Justiz. Die Ministerin verzichtete zwar auf eine Kritik am Beschluss des Landgerichts vom 9. Februar, betonte aber, dass sie eine andere Rechtsauffassung habe: Wenn eine Staatsanwaltschaft Hinweise habe, die auf eine mögliche Vernichtung von Beweismitteln deuteten, dann dürfe die Behörde auch von sich aus einen Durchsuchungsbeschluss beantragen – ohne den Dienstweg einzuhalten oder zunächst eine schriftliche Bitte um Herausgabe von Unterlagen vorzulegen. „Die Staatsanwaltschaft hat frei von politischen Einflüssen zu arbeiten“, hob Havliza hervor. „Selbst wenn ich frühzeitig über diese Aktion informiert worden wäre, hätte ich deshalb nicht eingegriffen, denn das wäre politische Einflussnahme gewesen. Womöglich wäre später dann gegen mich wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt worden.“