Sollte Weils Büroleiterin dienstlich Zuarbeit für SPD-Gremien leisten?
Es sollte so etwas wie ein Abschluss sein. Die CDU wollte am gestrigen Montag Jörg Mielke, den Chef der Staatskanzlei, noch einmal als Zeugen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) befragen. Schon seit Wochen ist für die Christdemokraten klar: Mielke ist der Hauptverantwortliche dafür, dass Aynur C., die Büroleiterin des Ministerpräsidenten, gegen massive Bedenken aus der Staatskanzlei und aus dem Finanzministerium mit einem AT-Vertrag auf B2 gehoben wurde. Mielke habe sich über Widerstände hinweggesetzt und behauptet, die erforderliche Zustimmung des Finanzministeriums habe vorgelegen – was nach mehreren anderen Zeugenaussagen recht fragwürdig erscheint. Mielke habe Ende November 2023 die rückwirkende Höherstufung zum 1. August 2023 im Kabinett durchgedrückt, ohne dass den übrigen Ministern und Staatssekretären dies bei der Entscheidung bewusst gewesen war. Mielke habe seinen Einfluss genutzt, um die Personalie in seinem Sinn voranzubringen.
So lag nun die Vermutung nah, die CDU würde den wichtigsten Beamten in Stephan Weils Umfeld noch einmal löchern und ihn fragen, ob er denn nun Konsequenzen aus den Fehlern ziehen wolle. Doch es kam in der Sitzung am gestrigen Montag etwas anders. Vorher waren neue merkwürdige E-Mails aufgetaucht, die sich in den Akten der Landesregierung befinden, die erst im August an den Landtag übergeben worden waren. Diese Kommunikation beschert dem PUA nun neuen Schwung. 20.000 Din-A-4-Seiten umfasste die Lieferung. Und Carina Hermann, Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU, pickte sich in der PUA-Sitzung die brisantesten Teile heraus. So wurde Lars W., inzwischen Leiter der Referatsgruppe Migration in der Staatskanzlei und damit hierarchisch die Nummer Sechs in der Staatskanzlei, im Februar 2024 von Regierungssprecherin Anke Pörksen gebeten, ein Stellenprofil der Büroleitung aufzuschreiben. W. war der Vorgänger von C., und Pörksen wollte wissen, welche Tätigkeiten die B2-Bezahlung für diese Stelle rechtfertigen. In der langen Aufzählung erwähnte W. unter Punkt drei: Der Büroleiter solle „Schnittstelle sein zur Partei“ und zum SPD-Landesgeschäftsführer. So habe er „an Gremiensitzungen teilgenommen und den MP dazu begleitet“. Auch ein enger Draht zu den SPD-Abgeordneten und denen des Koalitionspartners sei wichtig. Vor SPD-Landesparteitagen habe er „rechtzeitig im Vorfeld dem Chef Textbausteine direkt zukommen lassen“. Nun ist diese Beschreibung nicht nur merkwürdig, da sie auf eine verbotene Verquickung von Partei- und Regierungsarbeit durch hochbezahlte Beamte während der Arbeitszeit hinweist. In den Akten findet sich auch eine Reaktion von Mielke auf diese Mail von W.: „Den parteipolitischen Teil würde ich sehr bewusst in der weiteren Darstellung nach außen weglassen.“
Im PUA fragte Hermann gestern Mielke, wie man denn das verstehen kann: Soll die Büroleiterin des Ministerpräsidenten Parteiarbeit leisten, dies aber möglichst öffentlich nicht erzählen? Mielke entgegnete, indem er auf Distanz zu W. ging: „Der frühere Büroleiter hat übertrieben. Der MP bekommt auf Parteiterminen keine Begleitung durch die Staatskanzlei, außerdem schreibt er seine Reden selbst.“ Ob Mielke mit W. darüber gesprochen hat? „Heute Morgen war noch keine Gelegenheit dazu. Sie können davon ausgehen, dass ich mit ihm reden werde“, sagte der Chef der Staatskanzlei. Offen bleibt allerdings, warum Mielke im Februar 2024 nicht gleich interveniert hatte, als die Mail von W. bei ihm eintraf. Seine Reaktion war ja lediglich, er würde „den parteipolitischen Teil in der Darstellung nach außen weglassen“. War in dieser Reaktion nicht sogar eine Zustimmung impliziert? Eine schlüssige Erklärung blieb Mielke im Ausschuss schuldig.
Diese Mail von W. bleibt nicht die einzige Ungereimtheit, die von der CDU in den erst im August übergebenen Akten entdeckt wurde. Am 9. Februar 2024 hatte der Ministerpräsident im Landtag die neue Praxis, mit der C. zu ihrer Höherstufung gekommen war, vehement verteidigt. Dabei erweckte er den Eindruck, alle anderen Länder hätten bisher eine andere Vorgehensweise bei Beförderungen als das strenge Niedersachsen. „Dabei musste Weil doch klar gewesen sein, dass vom Finanzministerium nur sieben oder acht der 15 Bundesländer befragt worden waren. Warum wurde das nicht offen kommuniziert?“, wollte Hermann von Mielke wissen. Der Chef der Staatskanzlei antwortete, Weil habe den Hinweis damals „vom Finanzministerium bekommen“, außerdem sei die Sache ja im Haushaltsausschuss Tage zuvor schon detailliert erörtert worden. Hermann hakte nach und meinte, dass der Staatskanzlei-Abteilungsleiter Kolja Baxmann dann einige Tage nach Weils Auskunft im Landtag intern vor einem falschen Eindruck gewarnt habe, denn man habe ja – anders als verbreitet worden war – nicht sämtliche Bundesländer befragt. Aber noch im März 2024 schickte Regierungssprecherin Anke Pörksen eine Antwort an die Deutsche Presse-Agentur, in der wieder fälschlicherweise eine andere Praxis „in den anderen Bundesländern“ behauptet wird, also in allen Ländern. Diese Darstellung Pörksens gegenüber dpa war vorab von Mielke freigegeben worden.
Was falsche oder womöglich gezielt beschwichtigende Aussagen der Staatskanzlei gegenüber Medien angeht, meint die CDU noch mehr Beispiele in den Akten gefunden zu haben. So hatte Pörksen ursprünglich erklärt, C. habe in Hamburg schon E15 erhalten und diese Besoldungsstufe sei in Niedersachsen übernommen worden. Tatsächlich hatte sie in Hamburg E14 und war erst in Hannover auf E15 eingestuft worden. Mitte März 2024 stellte Pörksen fest, sie sei „die ganze Zeit einem Irrtum aufgesessen“ und habe eine falsche Auskunft zur Besoldungsstufe gegeben. Auf ihre Frage, ob sie nun sofort die Angaben gegenüber den Journalisten korrigieren solle, raten ihr Mielke und Weil, dies nicht zu tun, sondern erst noch ein internes Dienstgespräch am nächsten Morgen abzuwarten. Warum diese kurze Frist? Als Zeuge meinte Mielke nun, dieser Punkt sei in der Kommunikation zu dem Fall „nicht relevant“ gewesen.
Dann war da noch die Aussage der Regierungssprecherin im Mai 2024 gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass neben C. noch zwei weitere Angestellte des Landes von der „neuen Praxis“ der AT-Vergütung profitiert hätten. Damit, so die Intention der Aussage, sei nun klar, dass C. kein Einzelfall gewesen sei und man für C. kein Sonderrecht geschaffen habe. Mitte Juni 2024 stellte sich dann heraus, dass diese Darstellung Pörksens nicht stimmte, denn die Regel, die zwei anderen Bediensteten zugutekam, war eine andere als die zur AT-Vergütung – sie bezog sich auf die nun aufgehobene mehrmonatige Wartefrist in jeder Besoldungsstufe, die mit AT-Verträgen einhergeht. Ein Eingeständnis, hier in der Auskunft gegenüber dpa einen Fehler begangen zu haben, kam von der Staatskanzlei bislang indes nicht – in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage ist lediglich nebulös von „Unterschieden in der Differenziertheit“ der Presseauskunft die Rede. Mielke räumte diesem Thema gestern in seiner Aussage keine hohe Relevanz ein, denn beide Regeln seien ja eng miteinander verflochten gewesen. Ein klares Ja oder Nein zu der Frage von Hermann in der PUA-Sitzung, ob die Antwort gegenüber dpa falsch gewesen sei, gab der Staatskanzleichef nicht. Das müsse man „differenziert beurteilen“, sagte Mielke.
Heikel ist dieser Punkt noch in anderer Hinsicht. Diese Regel zur Aufhebung der Wartefrist, die in der Antwort mit der neuen AT-Praxis vermengt worden war, wurde selbst erst am 2. Januar 2024 festgelegt – also fünf Wochen nach der vom Kabinett beschlossenen AT-Vergütung für C. Da Ende November noch die alte Vorgabe galt, hätte die Büroleiterin eigentlich noch gar nicht so schnell auf B2 gehoben werden dürfen.
Nach Ende der PUA-Sitzung sagte CDU-Sprecherin Hermann, die Belege für „unzulässige Parteiarbeit in der Staatskanzlei“ seien ziemlich klar – und Mielke habe darauf keine stimmigen Antworten gegeben. Sie halte eine Entlassung des Chefs der Staatskanzlei für überfällig. Wiard Siebels (SPD) zweifelte an der Glaubwürdigkeit der Äußerung von W. und betonte, es gebe eine strikte Trennung von Parteiarbeit und Arbeit in der Staatskanzlei. Was falsche Auskünfte gegenüber Journalisten angeht, seien „an ein bis zwei Stellen Fehler begangen“ worden, diese habe man aber inzwischen korrigiert. Volker Bajus (Grüne) sagte, der Chef der Staatskanzlei „müsste seinen Hut nehmen, wenn die Vorwürfe gegen ihn berechtigt wären“. Sie seien es aber nicht.
Dieser Artikel erschien am 24.09.2024 in der Ausgabe #166.
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