Frauen im Parlament: „Wir sind noch lange nicht da, wo wir hin müssen“
Früher war der Fortschritt in dieser Frage eine Schnecke, sagt Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD). Wenn man sich aber die jüngste Landtagswahl anschaue, stimme das nicht mehr – jetzt sei sogar eine Rückwärtsentwicklung festzustellen. Es geht um die Frage, wie viele der Abgeordneten im Landtag weiblich sind. Derzeit sind es 27,7 Prozent, das waren schon mal mehr. Soll es künftig womöglich eine gesetzliche Verpflichtung geben, die zur Folge hat, dass mehr Frauen als bisher in die Parlamente kommen? Gestern haben Fachleute auf Einladung des Landtagspräsidiums und der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen über dieses Thema diskutiert. Die Meinung zu diesem Thema gehen nun weit auseinander.
In Frankreich gibt es ein Gesetz, das für verschiedene Wahlen die Gleichberechtigung vorsieht, es nennt sich „Parité“. Für die Listen wird dort eine 50-Prozent-Quote verbindlich vorgegeben. Wenn große Parteien von diesem Grundsatz abweichen und mehr Männer aufstellen, erhalten sie weniger staatliche Parteienfinanzierung. Aber wirkt das? „In der Praxis nehmen viele Parteien die Strafe bei der staatlichen Finanzierung durchaus in Kauf“, berichtet die Tübinger Politologin Gabriele Abels. Und – welch Wunder – der ultrarechte „Front National“ erfüllt die Quote vorbildlicher als Gruppierungen der politischen Mitte.
Nun vertritt vor allem die Kasseler Jura-Professorin Silke Laskowski ganz vehement die Ansicht, man müsse die deutschen Regeln anpassen und eine Quote, wie sie einige Parteien freiwillig eingeführt haben, ebenfalls gesetzlich verbindlich vorgeben. Es dürfe doch nicht sein, dass Fortschritte bei der Gleichberechtigung immer von politischen Zufallskonstellationen abhingen. So habe einst die CDU-Politikerin Helene Weber mit einem Sitzstreik durchgesetzt, dass Konrad Adenauer 1961 eine erste Bundesministerin berufen musste. Viel später, 1994, habe Helmut Kohl die Macht der weiblichen Wählerschaft erkannt und per Anweisung an seine Fraktion für eine Ergänzung des Artikels 3 im Grundgesetz gesorgt. Dort steht seither, dass der Staat „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung“ fördern muss.
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Für Laskowski ist das heute ein Schlüsselsatz. Diese Bestimmung in Verbindung mit Artikel 38 (Freiheit des Abgeordneten) und Artikel 20 (Staatsgewalt des Volkes) bedeutet für sie, dass wir in Deutschland in einem „verfassungswidrigen Zustand leben“. Frauen würden „durch Mauscheleien ausgegrenzt“, man erlebe eine „verschleierte mittelbare Diskriminierung“. Weil die weibliche Hälfte des Volkes eben nur von einer Minderheit von Frauen in Parlamenten vertreten werde, komme keine echte Repräsentation mehr zustande. Dem widerspricht der Berliner Politologe Heinrich Oberreuter. Für ihn gehört es zum Grundprinzip der demokratischen Ordnung, dass jeder Abgeordnete das gesamte Volk vertritt und nicht nur einen Teil davon. Die Hamburger Politikwissenschaftlerin Suzanne Schüttemeyer drückt das so aus: „Lieber lasse ich meine Interessen von einem klugen Mann vertreten als von einer inkompetenten Frau.“
Gesprochen wird viel, aber es ändert sich nichts
Der hannoversche Jura-Professor Hermann Butzer sieht sogar „verfassungsrechtliche Risiken“, wenn man – wie in Frankreich – eine Parité-Regel sogar in die Verfassung schreiben würde: Das würde sich dann mit zwei Prinzipien beißen – dem Grundsatz, dass jeder Abgeordnete das Gemeinwohl im Blick haben müsse, und der Freiheit der Parteien, ihre eigenen Kandidaten nach selbstgewählten Kriterien nominieren zu dürfen. Immerhin, sagt Butzer, unterstütze er die Rufe nach einer Verstärkung der Frauen in den Parlamenten. Mit einem Gesetz nach Laskowskis Vorschlägen müsse man es „vielleicht mal versuchen“. Staatsgerichtshof-Präsident Herwig van Nieuwland geht sogar noch weiter: „Auch in Niedersachsen gäbe es die Möglichkeit, mit diesem Thema vor den Staatsgerichtshof zu ziehen – das könnte spannend werden.“ Im Staatsgerichtshof herrsche nämlich schon Gleichberechtigung zwischen Richtern und Richterinnen. Daraufhin kommt Oberreuters trockener Kommentar zu van Nieuwlands offenherzigem Bekenntnis: „Seien Sie vorsichtig, Sie könnten befangen sein.“
Von Oberreuter kommt dann der Hinweis, man möge es „vielleicht eine Stufe tiefer“ mal versuchen. Statt juristische Grundsatzdebatten über die mögliche Unzulässigkeit von Parité-Regeln zu führen, könne man doch mal an den Regeln der Kandidatenaufstellung feilen. Schon vor vielen Jahren sei diskutiert worden, wie man hier mehr Lebendigkeit (oder eben auch mehr Geschlechtergerechtigkeit) organisieren kann, etwa durch die Verfahren von Panaschieren oder Kumulieren. Alles sei dann wieder in den Parteistuben versickert.
Der Gedanke stößt auf Zustimmung, etwa auch bei der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Barbara Woltmann. Sie beklagt, dass allein die Terminierung von Sitzungen in Kommunalparlamenten für weibliche Kandidaten, die meist Beruf und Familie unter einen Hut bringen müssen, eine Zumutung sei. Gesprochen werde darüber sehr viel, ändern tue sich nichts. „Wir sind noch lange nicht da, wo wir hin müssen“, meint Woltmann. (kw)