Soll es ein Recht auf Heimarbeit geben? In der FDP gehen die Meinungen auseinander
Sollen die Arbeitnehmer in der Zukunft verlangen können, von zu Hause aus zu arbeiten? In vielen Fällen geht das gar nicht, wenn etwa Maschinen gewartet oder Produktionsprozesse überwacht werden müssen. Auch ein Pförtner, ein Polizist, eine Krankenpflegerin oder eine Raumpflegerin können ihre Tätigkeit nicht vom heimischen Sofa oder Arbeitszimmer aus erledigen. Aber daneben gibt es, gerade in der öffentlichen Verwaltung, eine Fülle an Aufgaben, für die ein klassisches Büro künftig gar nicht mehr erforderlich ist. Es geht noch weiter: Das herkömmliche Arbeitsverhältnis dürfte in vielen Bereichen entbehrlich werden, ein Heer von selbständigen Ein-Mann- und Eine-Frau-Gesellschaften kann über Werkverträge an Behörden und Unternehmen mehr oder weniger stark gebunden werden. Die FDP hat die Veränderungen in der Arbeitswelt, gefördert durch die sich ständig beschleunigende Digitalisierung, in den Mittelpunkt ihres Landesparteitags gerückt. Ein Punkt unter vielen lautet, dass die FDP ein „Recht auf Heimarbeit“ befürworten solle. Am Ende ist die deutliche Mehrheit des
Parteitags für dieses Recht.
Das Thema jedoch erregt Widerspruch, am Morgen der Tagung schon vom parteilosen Hildesheimer Oberbürgermeister Ingo Meyer, der vor fünf Jahren von einem Bündnis aus SPD, CDU und Grünen nominiert worden war. „In meiner Stadtverwaltung arbeiten 1300 Mitarbeiter, und ich finde es nicht richtig, wenn jeder von ihnen einen Anspruch auf mobiles Arbeiten hat. Besser ist es, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf verständigen müssen, wo dies möglich und auch sinnvoll ist“, betont der Oberbürgermeister in seinem Grußwort. Heiner Schülke aus Stadthagen sagte, das Recht auf Heimarbeit sei „Grünen-Denke“ und deshalb verkehrt. Der frühere Wirtschaftsminister Jörg Bode verteidigte das Recht auf Heimarbeit, da dies „ein Weg in die Zukunft“ weise. Patrick Döring, Hannovers FDP-Bezirkschef, kritisierte später in der Debatte das veraltete Regelwerk im deutschen Wirtschaftsleben: „Bau- und Arbeitsschutzrecht sind noch auf die große Fabrik der alten Zeit ausgerichtet, das passt aber nicht mehr zur flexiblen Arbeitswelt der Zukunft.“
Bau- und Arbeitsschutzrecht sind noch auf die große Fabrik der alten Zeit ausgerichtet, das passt aber nicht mehr zur flexiblen Arbeitswelt der Zukunft.
Eine Fülle von Gedanken hat die FDP-Programmkommission, geleitet von Generalsekretär Konstantin Kuhle und dem Braunschweiger Florian Bernschneider, in den Antrag für den Parteitag geschrieben. Die Rollen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, heißt es dort, könnten verschwimmen und müssten neu definiert werden. „Kreative und technische Lösungen“ seien als Antwort auf die veränderte Arbeitswelt nötig. Zum Beispiel, was die Transportwege angeht und die Liefertechniken. Aufgeschlossen solle das Land sein dafür, beispielsweise auch Drohnen zum Einsatz zu bringen. Wenn immer mehr Menschen zuhause tätig sein sollen, könne die strikte Trennung von Wohn- und Gewerbegebieten auf dem Weg dahin hinderlich sein. Gegen Arbeitsstätten in Wohnungen könne es bauplanerische Vorbehalte geben – nötig seien schnelle Genehmigungen, darüber hinweggehen zu dürfen. Ein anderer Delegierter wendet ein, Heimarbeit dürfe aber auch nicht unbegrenzt sein – eine Arbeitszeitenregel müsse weiter gültig sein. Jeder Mensch brauche Ruhezeiten und Rückzugsmöglichkeiten, künftig vielleicht noch stärker als heute.
Eine große Baustelle ist außerdem die Bildungspolitik. Neben Lesen, Rechnen und Schreiben müsse „das Grundverständnis für digitale Zusammenhänge“ als neue Kulturtechnik hinzukommen, heißt es im Antrag. Die bisherigen Bildungs- und Hochschulstudiengänge müssten überprüft und notfalls an die digitale Welt angepasst werden. Da ständige Weiterbildung für alle Menschen immer wichtiger werde, könne dies auch durch einen Titel gewürdigt werden. Der Zusatz „CE“ (für „continuing education“) sei vielleicht sinnvoll. In Deutschland würden Volkshochschulen etwas unterstützt, der Rest der Fortbildung werde allein den Unternehmen überlassen. „Das ist viel zu wenig“, sagt Bernschneider, in China etwa tue der Staat hier viel mehr für die Leute. Rechtliche Schranken für Werkverträge müssten teilweise wieder fallen, heißt es an anderer Stelle. „Wenn denn Werkverträge künftig im Wirtschaftsleben immer wichtiger werden.“
FDP will auch frischen Wind in Behörden
Auch in den Behörden will die FDP frischen Wind durchziehen lassen: Im öffentlichen Dienst müsse es mehr Projektgruppenarbeit und weniger traditionelle Hierarchien geben. Weiterbildung und Aufstieg sollten erleichtert werden, das starre Laufbahnrecht müsse aufgeweicht werden – Quereinsteiger müssten es leichter haben. In jedem Kreishaus und jedem Rathaus einer kreisfreien Stadt müsse ein strategischer Kopf für Digitalisierung mit Dezernentenrang eingesetzt werden, damit das Thema überall die nötige Priorität bekommt. Daneben müsse man die Wahrheit aussprechen, dass sämtliche Tätigkeiten, die nur das Wiederholen erlernter Muster voraussetzen, früher oder später durch Maschinen, also künstliche Intelligenz, ersetzt werden können.
Neben Digitalisierung und Arbeitswelt bewegt die FDP bei ihrem Parteitag auch der innerparteiliche Reformprozess – auf Landes- wie auf Bundesebene. Der Landesvorsitzende Stefan Birkner sagte, es gebe zu wenig Frauen in wichtigen Positionen der Partei, auch in den Parlamenten. Mit „Zielvereinbarungen“ solle erreicht werden, dass Zug um Zug der Anteil steige. „Ich finde den Weg gut. Nur wenn uns das gelingt, können wir die Quote für die Listen oder eine gesetzliche Paritätsregel verhindern.“ Vorsichtig ging Birkner auf Distanz zu Parteichef Christian Lindner, der Zweifel am Weitblick der gegen den Klimawandel protestierenden Schüler geäußert hatte. „Ich bin froh, wie stark sich junge Leute hier engagieren“, betonte Birkner, fügte aber gleichzeitig hinzu, dass die Verletzung der Schulpflicht für die FDP „nicht hinnehmbar“ sei. Konsequente Beachtung des Rechts sei für die Partei extrem wichtig. Noch deutlicher rückte Lars Alt, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen, von Bundespartei und Bundestagsfraktion ab. „Montags bläst die Bundespartei ein Thema hoch, nur damit ein Thema gesetzt ist“, klagte Alt. Substanz sei nicht erkennbar. Hier wünsche er sich „mehr Gegenwind aus Niedersachsen“, denn in Berlin sei die FDP als Gegengewicht zur Großen Koalition erkennbar. „Nur die Grünen profitieren von der Schwäche der Bundesregierung, wir nicht“, betonte Alt. (kw)