Soll der Ausbau der Windkraft in Deutschland drastisch verstärkt werden?
Damit das Klima geschützt wird, braucht die Welt eine Abkehr von CO2-Immissionen – und der Schlüssel dazu kann im Umbau der Energieversorgung liegen. In Niedersachsen sind sich zumindest SPD, CDU und Grüne einig, dass dies mit einer Verstärkung der Windenergie geschehen muss. Die Fesseln, die der Windenergie im Bundesrecht angelegt worden seien, sollten beseitigt werden. Ist das richtig? Die Rundblick-Redaktion streitet in einem Pro und Contra darüber.
PRO: Scheitere schnell, um aus den Fehlern zu lernen, heißt es in der Digitalwirtschaft. In der Windenergie macht Deutschland gerade den schmerzhaftesten Fehler überhaupt: Es scheitert langsam. Jetzt gilt es, schnell den Hebel für mehr Windkraft umzulegen, meint Martin Brüning.
Infrastruktur ist bei ihrem Entstehen immer mit Problemen behaftet. Die Beispiele reichen von Stuttgart 21 über die Stromtrasse Südlink bis hin zur A39, einem sehr passenden Beispiel, weil hier sogar ein ehemaliger IHK-Präsident, der sich in dieser Funktion zuvor immer für die Autobahn stark gemacht hatte, nach seinem Ausstieg bei der Kammer als Privatmann plötzlich vor Gericht zog. Die Heideautobahn sollte durch sein Jagdrevier führen.
Einer Forsa-Umfrage der „Fachagentur Windenergie an Land“ zufolge halten 82 Prozent den Ausbau der Windkraft für wichtig oder sogar sehr wichtig. Abseits der angebrachten Skepsis aufgrund des Auftraggebers der Umfrage mag das tatsächlich so sein, im wirklichen Leben, das sich nicht immer mit Umfrageergebnissen deckt, wird dann vor Ort aber demonstriert und geklagt, was das Zeug hält. Jagdreviere spielen dabei allerdings eher selten eine Rolle.
Wer aber andere Energieformen über Jahrzehnte subventioniert hat, kann nicht bei der Windenergie plötzlich die reine Lehre vertreten. Das ist nicht glaubwürdig.
Aus dem Proteststurm gegen die Windenergie wird auch in der Politik versucht, Kapital zu schlagen. Die AfD vergleicht die Branche mit der Asbest-Industrie. Diese habe sich einst auf den Abbau spezialisieren müssen, was die Windkraftindustrie nun doch bitteschön auch vorbereiten möge. Und die FDP, bei neuen Autobahnen oder anderen industriellen Anlagen häufig und gerne und zu Recht auf der Seite der Befürworter, entdeckt auf einmal ihre Zuneigung zum Nachbarschutz.
Schlüssig ist das ebenso wenig wie viele Argumente, die in der politischen und gesellschaftlichen Debatte gern gegen die Windkraft ins Feld gebracht werden. So geht die FDP-Forderung nach einer marktwirtschaftlichen Lösung an dieser Stelle schon deshalb ins Leere, weil die Marktwirtschaft in der Energiepolitik schon in den vergangenen Jahrzehnten nicht unbedingt zuhause war. Das macht der dreistellige Millionenbetrag, den die Kernenergiebranche insgesamt an Subventionsgeldern erhalten hat, besonders deutlich. Wer aber andere Energieformen über Jahrzehnte subventioniert hat, kann nicht bei der Windenergie plötzlich die reine Lehre vertreten. Das ist nicht glaubwürdig.
Der milliardenschwere geplante Umbau der Mobilität ergibt keinen Sinn, wenn der Strom für die E-Autos am Ende aus Kohlekraftwerken kommt.
Der Umbau der Energiewirtschaft kommt für dieses Land zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Bewohner sind satt und innovationsmüde, haben mehr zu verlieren als vor Jahrzehnten. Damals hätte man auf zahlreichen freien Flächen Windparks errichten können, ohne dass es jemanden gestört hätte. Inzwischen hat sich die Infrastruktur verdichtet und die Klagebereitschaft der Bürger signifikant erhöht. Wer will schon ein Windrad direkt vor der Haustür haben?
Nicht immer sind die Argumente gegen die Windenergieanlagen aber ehrlich und wissenschaftlich belegbar. So werden zwar Vögel durch die Anlagen getötet, allerdings sterben 180 mal mehr Tiere beim Zusammenstoß mit Glasscheiben. Der Flächenbedarf der Windenergie ist im Vergleich eher gering, so dass nicht zu befürchten ist, dass für die Energiewende massenhaft Wälder gerodet werden müssen. Und die Folgen von Schallemissionen auf Mensch und Tier sind wissenschaftlichen nach wie vor schwer zu messen und zu bewerten, was nicht bedeutet, dass im Zuge weiterer Forschungen genau das zum größten Problem der Windenergie werden könnte.
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Doch irgendwoher wird der Strom kommen müssen, den wir künftig benötigen. Und es wird deutlich mehr Strom sein als bisher, wenn zum Beispiel Autos kein Benzin mehr tanken, sondern an die Stromzapfsäule fahren. Der milliardenschwere geplante Umbau der Mobilität ergibt keinen Sinn, wenn der Strom für die E-Autos am Ende aus deutschen oder ausländischen Kohlekraftwerken kommt. In diesem Fall wäre es fast ökologischer, am Status quo festzuhalten.
Das kann allerdings keine Option sein. Das Land hat bereits vor Jahren die Energiewende eingeleitet und dafür viel Geld in die Hand genommen. Nun sieht die Politik schon seit einiger Zeit dabei zu, wie die Wende massiv ins Stocken gerät. Scheitere schnell, um aus den Fehlern zu lernen, heißt es in der Digitalwirtschaft. In der Windenergie macht Deutschland gerade den schmerzhaftesten Fehler überhaupt: Es scheitert langsam. Wer aber aus der Kernenergie und der Kohle aussteigt, kann sich ein Scheitern an dieser Stelle absolut nicht leisten. Die Bundesregierung muss den Hebel bei der Windenergie deshalb zügig umlegen. Wer die Energiewende jetzt auf Eis legt, hat nicht nur Milliarden verbrannt, sondern macht sich auch unglaubwürdig.
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CONTRA: Natürlich ist mehr Windkraft wichtig, wenn man auf die erneuerbaren Energien umstellen will. Dennoch wäre es verkehrt, nur auf diesen einen Sektor zu setzen – und die Vielfalt möglicher Formen der Stromerzeugung zu vernachlässigen, meint Klaus Wallbaum.
Das Gerede vom „Markt“, der in der Energieversorgung alles regeln könne, ist nun wirklich abseitig. Deshalb sind all jene, die über zu viel Planwirtschaft bei der Förderung erneuerbarer Energien klagen, auf dem Holzweg. Planwirtschaft und staatliche Lenkung gibt es schon, seit es überhaupt Energiepolitik gibt – und ohne dürfte gar nichts voranschreiten. Wie sonst ist es zu erklären, dass in den sechziger und siebziger Jahren der Aufbau der Atomkraft mit erheblichem Einsatz staatlich unterstützt wurde? Wieso kann die Abkehr von der Kohle nicht schneller gelingen, obwohl doch jedermann weiß, wie schädlich diese Produktion für die Umwelt und das Klima sind?
Die Antwort lautet, dass Energiepolitik immer auch Regionalpolitik ist. Wenn bestimmte Gebiete geprägt sind durch eine Stromerzeugung, wenn ganze Kulturlandschaften davon abhängen, dann kann niemand von heute auf morgen einen Ausstieg verkünden – denn das hätte sonst soziale Unruhen zur Folge. Deshalb verständigt man sich auf Übergänge, und die sind immer Ergebnis von Kompromissen. Ob sie klug sind oder zu rücksichtsvoll gegenüber bestimmten Interessensgruppen, steht dann allerdings auf einem anderen Blatt.
Wind ist ein verlässlicher Faktor im Wettergeschehen Norddeutschlands – und die Stromproduktion ist emissionsfrei.
Die Lehre daraus lautet: Energiepolitik ist immer nur zum Teil Überzeugungssache. Das Nein zur Atomkraft war in den unkalkulierbaren Gefahren begründet und mehr als nur berechtigt. Doch diese Haltung muss auf der anderen Seite auch immer Rücksichten nehmen auf ländliche Prägungen, auf Arbeitsplatzangebote, soziale Absicherungen und auf die Bereitschaft der breiten Mehrheit, einen Wandel auch mitzugehen.
Die Menschen, die jetzt nach einer wesentlichen Verstärkung der Windenergie-Förderung rufen, haben gute Argumente auf ihrer Seite. Zum einen ist Wind ein verlässlicher Faktor im Wettergeschehen Norddeutschlands – und die Stromproduktion ist emissionsfrei. Wenn man jetzt wesentlich mehr Anlagen baut, kann man den Anteil erhöhen und damit die Abkehr von Kohle und Gas beschleunigen. Die nötige Energiewende, die den Klimawandel aufhalten soll, kann so schneller und besser laufen. Man wäre auch nicht auf längere Laufzeiten der Kernkraftwerke angewiesen, die – aus gutem Grund – als Alternative hierzulande keine Rolle mehr spielen. Oder vorsichtig ausgedrückt: die keine Rolle mehr spielen dürfen.
Die aktuelle Gefahr liegt vielmehr in der typisch deutschen Gründlichkeit. Die Windenergie zu verstärken könnte heißen, die staatlichen Förderinstrumente auszuweiten – und die Beschränkungen in den Planungen aufzuheben. Das hieße hier konkret: Man mutet künftig den Menschen, die in der Nähe geplanter Anlagen wohnen und sich dagegen wehren, mehr zu als bisher. Denkbar wäre auch, dass man die Belange des Naturschutzes (vor allem des Artenschutzes) geringer gewichtet, indem neue Windräder näher an die Brut- und Rastgebiete seltener Vogelarten heranrücken lässt. Beides ist womöglich gar nicht falsch, in Einzelfällen müssten Kompromisse möglich sein, die heute vermutlich wegen eines zu komplizierten Planungsrechts, einer zu ausgedehnten Klagemöglichkeit oder auch nur wegen der seit einigen Jahren generell verbreiteten Unfähigkeit zum Interessensausgleich allzu oft scheitern. Die Vorgaben hier zu lockern, wäre also gar nicht verkehrt.
Wer künftig einseitig auf die Windkraft setzt, droht den Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Was indes verkehrt wäre, ist eine „Jetzt aber los“-Haltung, die in der Verzweiflung über die zu langsamen Fortschritte beim Klimaschutz unbedingt aufs Tempo drücken und symbolisch ein Zeichen setzen will. Wer künftig einseitig auf die Windkraft setzt, droht den Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Früher setzte man auf die Atomkraft und vernachlässigte die Forschung nach Alternativen. Heute müsste es darum gehen, die Alternativen zur Windkraft im Bereich der anderen erneuerbaren Energien auszuloten – und mit den Kriterien von Umweltverträglichkeit, Artenschutz und Zumutbarkeit abzuwägen.
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Was ist mit der Sonnenenergie? Was ist mit der Speicherung in Wasserstoff? Was ist mit internationaler Arbeitsteilung? Wieso kann man nicht die Wasserkraft stärker nutzen über neue Stauseen, Staudämme und intelligente dezentrale Systeme? Welche anderen Formen wie etwa Erdwärme gibt es noch, die bisher nicht im möglichen Maß genutzt werden? Windkraft, soviel ist klar, spielt in dieser Konstellation eine ganz bedeutende Rolle. Die Versuche aus Süddeutschland, die Windkraft auszubremsen, sind alles andere als überzeugend und müssen zurückgewiesen werden. Das alles heißt aber nicht im Umkehrschluss, nun „alle Kraft auf die Windkraft“ zu rufen und damit die Offenheit für Innovationen zu verlieren. Was Deutschland und auch Niedersachsen auf jeden Fall zu allererst benötigen, ist eine wesentlich verstärkte Forschung auf dem Feld der Energieversorgung.