Im vergangenen Jahr, es war Mitte Mai, gab es einen wichtigen Grund für die Klausurtagungen der beiden großen Landtagsfraktionen von SPD und CDU: Sie kamen damals das letzte Mal in dieser Zusammensetzung zusammen – und ein Hauch von Abschiedsstimmung lag in der Luft. Wenn am heutigen Montag SPD und CDU wieder zu solchen Zusammenkünften einladen, ist der Charakter ein ganz anderer, es geht jetzt nicht um Abschied, sondern ums Kennenlernen. Seit mehr als 100 Tagen schon arbeiten die Fraktionen zusammen, und da parteiübergreifend diesmal die Quote der „Neuen“ im Landesparlament sehr groß ist, ist auch das Bedürfnis nach Annäherung ausgeprägt. Sie haben alle in dieser Zusammensetzung schon etliche Sitzungen miteinander verbracht, in Plenartagungen des Landtags ihre rhetorischen Kräfte eingeübt und in geselligen Runden das Wir-Gefühl gespürt. Die Klausurtagungen jedoch, wie auch sonst jetzt wieder weit weg von der Landeshauptstadt, sind eine weitere Steigerung dieser Team-Bildung. Man zieht sich an einen Ort zurück, von dem aus garantiert niemand plötzlich wieder aufbrechen, in seinen Wahlkreis fahren oder nebenher kommunalpolitische Detailfragen klären kann. Sie sind bei dieser Zusammenkunft an einen gemeinsamen Ort gebunden.

Das gilt in diesem Jahr besonders für die SPD, die auf die Insel Norderney fährt. Von einer Insel, das ist bekannt, kommt niemand so leicht wieder weg. Die CDU reist nicht ganz so weit, sie tagt in Garrel im Kreis Cloppenburg. Dort hat die CDU im Gemeinderat 56 Prozent der Stimmen, aber aus christdemokratischer Sicht gibt es auch einen Schönheitsfehler, denn der Bürgermeister ist auf Vorschlag von SPD, FDP und Bürgerliste ins Amt gekommen. Auf Norderney hingegen, wo die SPD tagt, sind die Sozialdemokraten mit 31,5 Prozent im Gemeinderat die stärkste Fraktion – und der Bürgermeister gehört auch der SPD an.

Unter welchen Vorzeichen kommen die Abgeordneten zusammen?

SPD (neu sind 24 von 57 Mitgliedern)

Die älteren Abgeordneten sind schon an die Rolle gewöhnt: Die SPD ist Regierungsfraktion, hat also vor allem die Aufgabe, der Regierung den Rücken frei zu halten. Dafür kann die Fraktion intern den Kurs, der von der rot-grünen Koalition vorgegeben wird, im Detail verändern oder nachbessern. Was den gerade vorgelegten Entwurf des Nachtragshaushaltsplans angeht, ist das durchaus möglich – etwa bei den Rufen der Polizei nach einer Erhöhung der Polizeizulage. Auch in der SPD sind etliche neue Abgeordnete dabei, die die Rollenverteilung erst noch einüben müssen. Ältere Genossen geben sich Mühe, das „rot-grüne Wir-Gefühl“ aus der Zeit zwischen 2013 und 2017 wiederzubeleben, etwa über gemeinsame Abende in den Plenarwochen. Die Fraktionsführung ist kräftig mit der Teambildung beschäftigt – unter dem neuen Fraktionschef Grant Hendrik Tonne und dem Parlamentarischen Geschäftsführer Wiard Siebels.

CDU (neu sind 21 von 47 Mitgliedern)

Für die CDU ist die Oppositionsrolle zwar nicht neu, aber nach fünf Jahren Regierungs-Mitverantwortung doch ungewohnt. Das dürfte den neuen Abgeordneten, die erstmals im Landtag sind, weniger Probleme bereiten als den etwas älteren Hasen. Die CDU hat gleich eine ganze Latte von Identitätsfindungsproblemen zu bewältigen: Die Jungen haben die Fraktionsführung übernommen, viele ältere sind jetzt in der zweiten Reihe. Der Anteil der Frauen ist viel größer als bisher, sie bilden einen eigenen Machtfaktor. Neben der CDU in der Opposition sitzt nicht die FDP, die doch meistens ein verlässlicher bürgerlicher Partner war, sondern die AfD, von der sich die Fraktionsführung vehement, ununterbrochen und immer deutlich wahrnehmbar abgrenzen will. Fraktionschef Sebastian Lechner und die Parlamentarische Geschäftsführerin Carina Hermann versuchen, in dieser vielschichtigen Gemengelage die Reihen zusammenzuschweißen. Das kann ihnen umso mehr gelingen, je holpriger Rot-Grün seinen Start hinlegt.