Selbst Placebos können wirken
Darum geht es: Der DGB Niedersachsen will beim geplanten Lohngerechtigkeitsgesetz den Druck erhöhen. Das Gesetz soll nach Willen des DGB noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Ein Kommentar von Martin Brüning:
Frauen sollten genauso viel verdienen wie Männer. Diese Forderung ist so simpel wie einleuchtend, und wenn es denn nun so einfach wäre, hätte sich das Land die jahrelange Diskussion um das Thema als auch das leidige Gezerre um das sogenannte Lohngerechtigkeitsgesetz wohl sparen können. Dann gäbe es bereits den fairen Lohn für Frauen und Männer. Leider hat die Komplexität sowohl des Themas als auch des Gesetzentwurfs dazu geführt, dass sich die Diskussion seit langem „wie Kaugummi zieht“, um den niedersächsischen DGB-Chef Hartmut Tölle zu zitieren. Das liegt im Kern an drei Problemen.
Die Zahlen: Die Befürworter des Gesetzes verweisen immer wieder auf die 21 Prozent, die Frauen weniger bekommen als Männer. Der Vergleich von Frauen in Vollzeit gegen Männer in Vollzeit ist einfach, hat aber erst einmal nichts mit Diskriminierung zu tun. Branche, Betriebsgröße oder private Entscheidungen wie zum Beispiel Teilzeitarbeit nach der Geburt eines Kindes sind nicht mit eingerechnet. Wer das mit einkalkuliert beziehungsweise nur Äpfel mit Äpfeln vergleicht, der kommt auf einen Gehaltsunterschied zwischen fünf und sieben Prozent. Auch hierbei ist dann noch nicht völlig klar, ob wirklich Diskriminierung im Spiel ist. Dennoch: Es gibt eine Lücke und es wäre gut, diese Lücke zu schließen. So einfach und klar, wie von den Befürwortern des Gesetzes behauptet, ist aber alles nicht.
Das Gesetz: Es gehe nicht darum, Bürokratie aufzubauen, sagt der DGB. Der Gesetzestext mit einem Umfang von 120 Seiten spricht eine andere Sprache. Erneut werden Unternehmen dazu verdammt, Statistiken zu erstellen, über die sich im Nachgang trefflich politisch streiten lässt. Ob aufgrund der zu erstellenden Journale eine einzige Frau mehr Gehalt bekommt, bleibt ungewiss. Auch die in der Politik diskutierten und willkürlichen Untergrenzen sind wenig hilfreich. Warum sollten Frauen in Unternehmen mit über 500 Beschäftigten besser geschützt werden als Frauen in kleineren Unternehmen? Und zuletzt: Welche Mitarbeiterin wird ihren Chef nach dem Lohnniveau der Kollegen fragen, wenn sich in den allermeisten Fällen aus dieser Informationen nur schwer eine Diskriminierung juristisch belegen lassen wird?
Die Berufsalltag: Ja, es gibt nach wie vor Branchen, in denen Frauen einen schweren Stand haben. Im Maschinenbau müssen sie sich tagtäglich in einer Männerdomäne behaupten. Und wer als Ärztin in der hierarchisch geprägten Männerwelt der Weißkittel Karriere machen will, ist nicht zu beneiden. Aber: Inzwischen sind 70 Prozent der Medizinstudierenden weiblich. In den Kliniken wird sich etwas ändern, ob die Männer wollen oder nicht.
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Das Lohngerechtigkeitsgesetz zieht sich nicht ohne Grund wie Kaugummi. Es ist ein schlechtes, wenig überzeugendes Gesetz. Es ist in Arbeit bei einer Bundesregierung, die schon häufiger glaubte, komplexe Herausforderungen mit einem einfachen Gesetz aus der Welt schaffen zu können. Sollte es doch noch im Bundestag verabschiedet werden, bleibt betroffenen Frauen nur eine Hoffnung: Selbst Placebos können zum Teil ihre Wirkung erzielen.