Schwarz-Grün? Sorry, passt gerade nicht!
Zwei Monate ist es gerade mal her, dass Stefan Wenzel, der stellvertretende Ministerpräsident, vorsichtig laut in Richtung Schwarz-Grün gedacht hat. In einem erst internen, dann öffentlich gewordenen Papier meinte er, die Grünen dürften sich nicht nur auf eine Koalitionsoption nach der Landtagswahl im Januar 2018 einstellen. „Nicht nur eine Option“, das heißt so viel wie: Nicht nur festgelegt auf die SPD, sondern eine Bereitschaft zur Kooperation mit der CDU.
Markiert Wenzels Papier den Beginn einer Läuterung bei den niedersächsischen Grünen, ist das ein Startsignal für eine Öffnung der Grünen zur Mitte? Wohl nicht. Am Sonnabend haben sich rund 160 Delegierte in Hannover getroffen, um die Landesliste der Partei für die Bundestagswahl am 24. September 2017 aufzustellen. Gleich zu Beginn trat Wenzel nach vorn, um zu den Delegierten zu sprechen. Er stand am Podium, legte sein Gesicht in Sorgenfalten und sprach über ein wichtiges Thema. Würde er die Mahnung von Dezember nun noch einmal direkt an die Delegierten richten? Er tat es nicht. Hinter Wenzel wurde auf dem großen Monitor ein Bild von Ernst Albrecht gezeigt, der eine Landkarte mit Lüchow-Dannenberg hinter sich hatte. 1977, vor 40 Jahren, wurde Gorleben als möglicher Endlager-Standort ausgewählt, just vom christdemokratischen Ministerpräsident Ernst Albrecht, und Wenzel erklärt: „Die Wurzeln unserer Partei sind früh verbunden mit den Kämpfen gegen diesen Willkürakt.“ Statt Hinwendung zur CDU in der Zukunft nun also Wenzels bewusste Erinnerung an Kämpfe gegen die CDU in der Vergangenheit.
https://soundcloud.com/user-385595761/julia-verlinden-ist-spitzenkandidatin-der-grunen-in-niedersachsen
Es klingt wie eine Regieanweisung für den ganzen Tag. Wer in der Versammlung zumindest vorsichtige Töne für eine Abkehr von der stark linken Ausrichtung der Partei erwartet hatte, wird enttäuscht. Was in Hessen und Baden-Württemberg selbstverständlich ist, scheint in Niedersachsen tabu zu sein. Den stärksten Beifall bekommen Redner, die sich besonders wortgewaltig von den Christdemokraten abgrenzen. Bei Julia Verlinden, der neuen niedersächsischen Grünen-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, klingt das noch relativ verhalten. Als sie vehement für den Kohleausstieg wirbt, kommt gleich die Frage, wie das denn wohl in einer Koalition mit der SPD zu machen wäre. „Die SPD ist wohl noch nicht so weit“, sagt sie und fügt hinzu: „Wir warten ab, wie die anderen sich positionieren werden.“ Aber dann kommt Jürgen Trittin (Listenplatz 2), der einstige Bundestags-Fraktionschef, und er erntet mit einer kämpferischen Rede in einem fast schon aggressiven Tonfall stürmischen Applaus. Sein großes Ziel sei, ruft er im donnernden Ton, „CDU und CSU am 24. September in die Opposition zu schicken.“ Dieses Anliegen ist für ihn so wichtig, dass er es in seiner Rede gleich zweimal erwähnt. Später kommt die Frage, warum er denn „nur die eine Hälfte der gegenwärtigen Großen Koalition ablösen“ will. Trittin meint, dass das Regieren mit der SPD natürlich nicht einfach sei – „aber ich habe keine Illusion, dass es mit den Schwarzen einfacher würde“. Wieder kräftiger Applaus.
Die anderen, die an diesem Tag auf die vorderen Listenplätze kommen, liegen ganz auf dieser Linie. Filiz Polat (Platz 3) schimpft über den „CSU-Schatten, der auf Angela Merkel fällt“ und meint, die Union stehe für „die schlimmste Asylrechtsbeschränkung“. Sie gehöre „dringend abgewählt“. Sven-Christian Kindler (Platz 4) prangert die Politik von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) an, der „Griechenland aus der EU drängen“ wolle und deshalb „der nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören darf“. Auf Position fünf setzt sich Katja Keul, die zum linken Flügel zählt, gegen Viola von Cramon (Realo) durch, die Nicht-Linken in der Partei erringen ihren ersten Erfolg erst auf Position sechs, dort besiegt der bisherige Landtagsabgeordnete Ottmar von Holtz aus Hildesheim den Sprecher der Grünen Jugend, Marcel Duda.
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Warum nur sind die Grünen derzeit so auf Krawall gebürstet, was die CDU angeht? Der niedersächsische Landesverband gilt, im Gefüge der Partei, als besonders links – und Trittin ist strategisch der große Gegenspieler des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der seine Sympathien für Angela Merkel schon seit längerem ganz offen äußert. Der momentane Höhenflug der SPD, ausgelöst vom neuen Kanzlerkandidaten Martin Schulz, beflügelt auch Phantasien auf eine mögliche rot-grüne oder wenigstens rot-rot-grüne Mehrheit bei der Bundestagswahl – Visionen, die noch vor ein paar Wochen aussichtslos erschienen. Damit wird der Raum für Gedanken, wie Wenzel sie noch im Dezember äußerte, immer schmaler. Warum das Gewohnte verlassen, wenn zum Kopfzerbrechen über neue Orientierungen anscheinend gar keine Notwendigkeit mehr besteht?
Dabei zielt das alles nicht nur auf die Bundestags-, sondern auch auf die Landtagswahl. Jürgen Trittin, der am Sonnabend mit stolz geschwellter Brust durch die Reihen der Delegierten ging, hat es sehr deutlich gesagt: „Liebe Freunde, eigentlich ist die Bundestagswahl doch nur eine Vorwahl für die Landtagswahl in Niedersachsen.“ Ob er das ernst meint? (kw)