Darum geht es: Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok leitet jetzt ein Disziplinarverfahren gegen seinen langjährigen Büroleiter und Vertrauten Frank Herbert ein. Damit wechselt die Stadtverwaltung wieder einmal ihre Strategie beim Versuch der Krisenbewältigung. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Je länger die hannoversche Rathausaffäre dauert, desto variantenreicher werden die Reaktionen von Oberbürgermeister Stefan Schostok. Anfangs hieß es lediglich, der Kulturdezernent Harald Härke habe interne Unterlagen weitergereicht, die Stadt zeigte ihn wegen Geheimnisverrats an. Als dann in den Tagen danach immer klarer wurde, dass die in diesen Unterlagen erwähnte Zulage, die Schostoks Büroleiter Frank Herbert seit Jahren kassiert, nicht rechtmäßig sein kann, musste Schostok auch davon abrücken. Die Stadtspitze erklärte Ende Mai, für die Entscheidung über die Zulage sei allein Härke verantwortlich, niemand sonst. Er werde also auch noch der Untreue verdächtigt. Als dann aber wenige Tage später bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft Hannover in dieser Sache auch gegen Herbert ermittelt, änderte Schostok am gestrigen Donnerstag erneut seine Argumentation erneut – und leitete auch gegen seinen langjährigen Büroleiter ein Disziplinarverfahren ein.

Mag das auch wie eine Salami-Taktik wirken, so meldeten sich doch schon gestern erste Beobachter, die über einen „Befreiungsschlag“ schrieben und darüber, dass Schostok inzwischen „erleichtert“ wirke. Da schwang Anerkennung mit. Hat der schwer angeschlagene OB, der nun erstmals sichtbar überhaupt gehandelt hat in diesem Fall, also die schlimmste Phase der Affäre überstanden? Ist er jetzt auf dem Weg der Besserung?

Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Denn sein Versuch des Herunterspielens ist nun definitiv schief gegangen. Anfangs hatte Schostok so getan, als ob der angebliche Geheimnisverrat Härkes der große Skandal sei, über die Sache mit der Zulage schwieg er. Das war nicht durchzuhalten, und so versuchte er später, die Schuld für Herberts erhöhtes Gehalt allein bei Härke abzuladen, der fürwahr als langjähriger Strippenzieher in der Stadtverwaltung einen dankbaren Täter abgibt. Aber jetzt, da er mit dem neuen Disziplinarverfahren auch Herbert bescheinigt, fehlerhaft gehandelt zu haben, erkennt Schostok nicht nur die Brisanz der rechtswidrigen Zulage an. Zugleich erklärt er indirekt, dass diejenigen, die über diese Zulage verhandelt und entschieden haben, möglicherweise ein Dienstvergehen begangen haben.

Das ist riskant für den OB. Denn solange Schostok noch behauptete, Härke habe quasi im stillen Kämmerlein eine gesetzeswidrige Zulage ausgeteilt, konnte er die Alleinschuldthese vertreten. Indem er nun aber Herbert in die Vorwürfe einbezieht, wird der Fokus auf den Entscheidungsprozess im Rathaus gelenkt. An dem aber war wohl auch der Oberbürgermeister selbst beteiligt. In verschiedenen Botschaften, die nicht die ursprüngliche Anhebung des Herbert-Gehalts von B2 auf B5 betreffen, sondern den – erfolglosen – Versuch einer weiteren Anhebung auf B7, wird auf ein Spitzengespräch mit dem OB am 4. April 2017 Bezug genommen. So steht es in Mails, die Herbert verfasst hat. Aber wenn Schostok inzwischen offen diese Verhandlungen problematisiert, müsste er dann nicht auch seine eigene Rolle in diesen Gesprächen kritisch beleuchten? Unaufhaltsam rückt die Affäre näher an den Verwaltungschef selbst heran.

Herbert schrieb am 5. April 2017 an Härke, beide hätten am Tag zuvor mit Schostok über den Plan geredet, Herberts Gehalt de facto auf B7 anzuheben. Dies sei eine „Abrede“ gewesen. Hat Herbert hier dreist gelogen und den OB absichtlich falsch interpretiert? Wie glaubwürdig ist die Vermutung, dass Schostok von der rechtlichen Fragwürdigkeit der Zulage in dieser Besprechung mit Härke und Herbert am 4. April 2017 nichts wusste? Wahrscheinlich ist doch, dass Härke bei diesem Treffen seine offensichtlichen Bedenken gegen die Höherstufung vorgetragen hat. Und wenn das so war, hätte dann nicht der Oberbürgermeister als Verwaltungschef von sich aus die Diskussion abkürzen und Herbert mit Verweis auf die geltenden Vorschriften in die Schranken weisen müssen? Tatsächlich aber versuchte Herbert noch Wochen später, gegenüber dem zögernden Härke seine Ansprüche durchzusetzen. Dass Schostok ihn dabei gebremst hätte, ist nicht überliefert.

Nein, ein echter „Befreiungsschlag“, den der hannoversche OB dringend nötig hat, müsste wohl ganz anders aussehen und auf die vielen ungeklärten Fragen endlich Antworten liefern.

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