Darum geht es: Showdown vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig: Es fällt morgen sein Grundsatzurteil darüber, ob eine Kommune individuelle Fahrverbote wegen schlechter Luftwerte verhängen darf. Das Gericht befasst sich mit Verfahren aus Düsseldorf und Stuttgart. Ein Kommentar mit Martin Brüning.

Ob eine mögliche neue Regelung gut oder schlecht ist, lässt sich häufig an der Zahl der von Beginn an mitgedachten Ausnahmen ablesen. Deutschland kann besonders gut regeln, und es kann besonders gut komplizierte Ausnahmen von komplizierten Regeln regeln. Schon die Ausnahmen machen deutlich, dass die angesichts drohender Fahrverbote vieldiskutierte blaue Plakette nichts taugt. Denn würde die „Fahrverbot light“-Plakette von einem Tag auf den anderen für alle gelten, wäre der Verkehr an vielen Stellen lahmgelegt.

https://soundcloud.com/user-385595761/drohende-diesel-fahrverbote-jetzt-wird-die-zeit-knapp

Eine Vielzahl von Taxen mit Dieselmotor, Busse, Geschäfte beliefernde Lastwagen und Behördenfahrzeuge hätten plötzlich in manchen Städten City-Verbot. Damit es nicht so kommt, würde es im Fall der blauen Plakette natürlich Ausnahmen geben. Die Gelackmeierten sind wieder einmal diejenigen, auf die keine Ausnahme zutrifft. Zehntausende Bürger, die sich kein neues Auto leisten können und täglich mit ihrem Diesel-Kombi zwischen Wohnort, Kindergarten und Arbeitsplatz hin- und herpendeln, können dann an der Haltestelle im Dorf schauen, wann denn überhaupt der Bus kommt. Im Zweifel eher zu selten. Und ihren alten, wertlosen Diesel werden sie natürlich auch nicht mehr los.

In der Typologie zur Dieseldebatte lassen sich vier Kategorien ausmachen. Drei Typen bestimmen dabei die Debatte, der vierte muss sehen, wo er bleibt.

Der Überzeugte:

Er ist ökologisch korrekt, arbeitet bei einem Verband oder in einer Behörde, am liebsten im Umweltbereich. Der Überzeugte fährt natürlich überhaupt nicht Auto, wohnt allerdings auch in der Stadt und nutzt ab und zu einmal Car-Sharing, „wenn es gar nicht anders geht“. Vom ländlichen Raum hat er einmal in der Zeitung gelesen, war aber noch nie da, weil man ohne Auto ja auch nur schlecht hinkommt. Wie sollte er deshalb auch wissen, dass die U-Bahn gar nicht bis in den Harz oder ins Weserbergland fährt?

Der Profiteur:

Er ist scheinbar ein Überzeugter, argumentiert plakativ und verdient damit als Verband gutes Geld. Das kommt zum Beispiel von der „ClimateWorks Foundation“ aus den USA, die sich wiederum aus Geldern der Ford Foundation speist. Ford war bis vor kurzem vom Dieselskandal und der öffentlichen Debatte übrigens überhaupt nicht betroffen. Auffällig, oder? Eine weitere Geldquelle für den Verband ist der Autobauer Toyota, für den der Diesel überhaupt keine Rolle spielt und der sich deshalb das Spiel aus dem fernen Tokio genüsslich ansehen kann. Zum ersten Mal ungemütlich wurde es kürzlich für den Profiteur, als ein Autokonzern den Spieß einmal umdrehte und dem Verband, nennen wir ihn einmal Deutsche Umwelthilfe, seinerseits Manipulationen vorwarf und das auch noch nachweisen konnte. Sei’s drum. Medien wenden sich bei Nachfragen dennoch gerne an den Profiteur – keiner lässt es medial lauter knallen.

Der Politiker:

Er sitzt zwischen den Stühlen und hat eine Heidenangst. Die Regelungswut von Politik und Behörden hat ihm die Grenzwerte eingebrockt, der Profiteur macht mithilfe der Medien richtig Dampf, vor Gericht ist er wie auf hoher See in Gottes Hand, und die Wähler fragen ihn, ob sie denn morgen mit ihrem Auto noch in die Stadt kommen können. „Fahrverbote für Dieselfahrzeuge sind nicht akzeptabel“, gibt der Politiker zu Protokoll und nimmt die aktuellen Werte als Beleg dafür, dass doch schon alles viel besser geworden ist, liebes Brüssel. Es gilt die alte politische Maxime „Der Weg ist das Ziel“ – aber mit Fahrverboten kann man sich ja gar nicht auf den Weg machen.

Otto Normalverbraucher:

Er fragt sich beim Ansehen der Tagesschau oder Durchblättern der Zeitung, ob er seinen Diesel gegen eine satte Prämie plus Neuwagen lieber in Zahlung geben sollte. Dummerweise fehlt ihm das Geld für den Neuwagen. Privatkäufe spielen im Neuwagenmarkt inzwischen ja nur noch eine geringe Rolle spielen und einen Dienstwagen, der beim nächsten Flottenwechsel getauscht werden könnte (ob es dafür auch eine Ausnahmeregelung geben könnte?), hat er nicht. Ein Gebrauchtwagen mit Ottomotor könnte für Otto Normalverbraucher auch unsicher sein, weil selbst für diese teilweise Fahrverbote gefordert werden. Nun fragt er sich, wem er in dieser verrückten Fahrverbotsdebatte eigentlich noch trauen kann und ob sein Auto vor der Tür schon bald von einem Tag auf den anderen nicht einmal mehr die Hälfte wert sein könnte.

Übrigens: 20 Milliarden Euro würde die Hardware-Nachrüstung von zehn Millionen Autos laut dem Experten Ferdinand Dudenhöffer kosten. Umgerechnet sind das fast 30 niedersächsische Nachtragshaushalte. Egal, wie das Bundesverwaltungsgericht morgen urteilt: teuer wird es auf jeden Fall, im Zweifel natürlich für Otto Normalverbraucher.

Mail an den Autor dieses Kommentars

Lesen und hören Sie auch:

Artikel: Umweltminister Lies will mehr Pragmatismus in der Umweltpolitik