Das Landgericht Hannover hat am Dienstag erneut zu ergründen versucht, wie die „Rathausaffäre“ in der Landeshauptstadt geschehen konnte. Vor der 18. Großen Strafkammer müssen sich seit Dezember der frühere Oberbürgermeister Stefan Schostok, sein einstiger Büroleiter Frank Herbert und der frühere Personaldezernent Harald Härke wegen schwerer Untreue verantworten.

Die Rathausaffäre wird gerade vor dem Landgericht aufgearbeitet – Foto: MB., Stadt hannover

Härke hatte angewiesen, dass Herbert zwischen 2015 und 2017  mehr als zwei Jahre lang eine monatliche Zulage erhielt, die durch die rechtlichen Bestimmungen nicht gedeckt war. So ist der Stadt ein Schaden von knapp 50.000 Euro entstanden. Schostok wird vorgeworfen, von diesen Umständen gewusst, sie aber dennoch gebilligt zu haben. Härke ist geständig, Schostok und Herbert erklärten bisher, sie hätten von der juristischen Angreifbarkeit des Verfahrens erst sehr spät erfahren.

Das ist gar keine schwierige juristische Frage, es ergibt sich einfach aus dem Gesetz.

Am Dienstag haben zwei Zeugen ausgesagt, die frühere Sachbearbeiterin N., die für die Anwendung des Beamtenrechts auf die Personalbezüge zuständig ist, und ihr Vorgesetzter K., der Bereichsleiter für Personal und Organisation in der Stadtverwaltung. Über K. gibt es noch drei Hierarchiestufen, über ihm die Fachbereichsleiterin, darüber die Dezernentin und darüber den Oberbürgermeister.

Härke verwies auf ein Gespräch mit dem Innenministerium

Die Abläufe im hannoverschen Rathaus waren so: Nach der Wahl von Schostok zum OB war zunächst überlegt worden, ob die Verwaltung neu organisiert werden soll und ein erfahrener Jurist (also Herbert) als Dezernent nach B7 an die Seite des OB gestellt wird. SPD und Grüne im Rat lehnten diese Neuerung ab, folglich blieb Herbert nach B2 besoldet, stellte aber in der Folgezeit immer wieder Ansprüche, entsprechend seiner Aufgaben höher gestuft zu werden.

Herbert und Härke hatten dann besprochen, ob es Wege einer Höherdotierung über Zulagen oder einen Überstundenausgleich geben könne. Hier kommen nun die Mitarbeiter K. und N. ins Spiel. K. wurde von Härke und indirekt auch Herbert gebeten, die Möglichkeit von Zulagen rechtlich zu prüfen. K. bat daraufhin N., das zu tun.

Man kann ja nicht einfach als Sachbearbeiterin zum OB gehen. Da muss man doch erst einen Termin vereinbaren – und der Weg musste über Herbert gehen.

Schon im Januar 2015 brachte N. zu Papier, dass laut Gesetz Zulagen für Kommunalbeamte der B-Besoldung (mit Ausnahme der Amtszulage) oder Überstundenvergütungen nicht erlaubt sind. „Das ist gar keine schwierige juristische Frage, es ergibt sich einfach aus dem Gesetz. Außerdem ist mir als Beamtin doch klar, dass ich nie mehr fordern kann, als mir gesetzlich zusteht.“

N. leitete ihren Vermerk an K. weiter, der wiederum gab ihn Härke. Doch ein paar Wochen später, im April 2015 notierte Härke darauf, dass eine Mehrarbeitsvergütung für Herbert angewiesen wurde – „nach Gespräch mit dem Innenministerium“, wie auf einem späteren Vermerk handschriftlich geschrieben stand. Dabei war N. klar, wie sie auf Fragen des Richters Patrick Gerberding sagte, dass es nach der geltenden Rechtslage gar keinen Spielraum für das Ministerium geben konnte, doch eine Zulage zu gewähren.

So war den Fachbeamten N. und K. schon seit Anfang 2015 klar, dass hier etwas Illegales geschieht. Beide berichteten als Zeugen, dass sie sich auch darüber immer wieder austauschten. N. war „empört und erschüttert“, sagte sie. Gegenüber K. habe sie erwähnt, das sei „ungeheuerlich“ oder „ein Hammer“. Ihr Vorgesetzter K. aber signalisierte, er gebe keine Chance, dagegen anzugehen. „Ich bin damals an meine Grenzen gestoßen“, sagte K. jetzt im Zeugenstand.


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N. wurde gefragt, ob sie denn nicht an einer höheren Stelle hätte protestieren können – etwa direkt beim Dezernenten Härke, zu dem nur K. direkt Kontakt hatte, oder gar beim OB selbst. „Man kann ja nicht einfach als Sachbearbeiterin zum OB gehen. Da muss man doch erst einen Termin vereinbaren – und der Weg musste über Herbert gehen. Da es Herbert selbst betraf, erschien es mir nicht möglich, zum OB zu gehen.“

Später meinte N. noch: „Damals war es undenkbar, zum OB zu gehen. Das war für mich irgendwie abwegig.“ Der zehn Jahre ältere K., der ebenfalls die Rechtswidrigkeit der Zulage kannte, meinte im Zeugenstand: „Ich ging davon aus, dass ich den OB nie allein hätte sprechen können. Herbert und Härke wären dabei gewesen. Also habe ich in einem solchen Gespräch keinen Sinn gesehen.“ Folglich beschränkten sich N. und K. darauf, ihre Bedenken immer wieder erneut zu Papier zu bringen und – was K. anbelangt – gegenüber Härke und Herbert anzusprechen. Vermutlich das schlechte Gewissen brachte N. dazu, die Zahlungsanweisung nicht selbst zu unterschreiben, wie es üblich gewesen wäre, sondern auf einem Vermerk nur einen Pfeil zu einem Hinweis auf Härkes Entscheidung zu zeichnen. „Ich habe es nicht unterschrieben, weil es doch rechtswidrig war“, sagte sie auf Fragen der Staatsanwaltschaft.

Die Zeugenaussagen sind so ein guter Beleg dafür, was in einer Verwaltung geschehen kann, wenn es offenbar einen Mangel an gepflegter Fehlerkultur gibt und wenn scheinbar naheliegende Kommunikationswege für die Betroffenen blockiert erscheinen. Am 22. Januar wird der Prozess fortgesetzt.