Eine neue Generation von jungen Politikern mischt die europäische Parteienlandschaft auf. Immer mehr, so scheint es, richtet sich der Fokus der Öffentlichkeit auf einzelne politische Hoffnungsträger und entfernt sich damit von den politischen Parteien. Aber ist diese Entwicklung positiv oder negativ? Lesen Sie dazu ein Pro & Contra von Martin Brüning und Klaus Wallbaum.

Macron & Kurz der Rundblick-Redaktion: Martin Brüning (links) und Klaus Wallbaum – Foto: DqM

PRO: Macron in Frankreich, Kurz in Österreich: Die Politik mit ihren ausgelaugten und immer mitgliederschwächeren Parteien braucht dringend diese mutigen Politiker, die auch einmal bereit sind, gegen den Strom zu schwimmen, etwas zu riskieren, sich klar und deutlich artikulieren und Charisma mitbringen, meint Martin Brüning.

Der Messias hat keinen Plural. Trotzdem gibt es in der Politik inzwischen einige, die als politischer Messias gesehen werden. Emmanuel Macron ist einer von ihnen, Sebastian Kurz ein weiterer. Macron hat in Frankreich in kürzester Zeit eine Bewegung geschaffen, die ihn bis ins Präsidentenamt getragen hat. Umfragen zufolge ist für „En Marche“ bei der anstehenden Parlamentswahl das Erreichen einer absolute Mehrheit nicht unmöglich. Kurz schickt sich derweil in Österreich an, Ähnliches zu versuchen. Mit der „Liste Sebastian Kurz“ will er bei der kommenden Wahl voll auf seine Popularität setzen. Seine Partei, die seit Jahren dahindümpelnde konservative ÖVP, verschwindet hinter seinem Namen. Vor wenigen Wochen lagen die Konservativen in den Umfragen noch mit rund 21 Prozent abgeschlagen hinter FPÖ und SPÖ, plötzlich liegen sie mit 32 Prozent vorne. Erleben wir eine politische Zeitenwende? Geht es den Parteigranden an den Kragen, wie eine Zeitung kürzlich schrieb?

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Lichtgestalten hat es in der Politik immer wieder gegeben. Noch heute erzählen Sozialdemokraten mit leuchtenden Augen, wie sie in den Zeiten Willy Brandts in die SPD eingetreten sind. Aber im Vergleich zu heute hat sich etwas geändert. Die kleinen und großen politischen Leuchten vergangener Zeiten waren eingebettet in ein funktionierendes Parteiensystem. Heute sind Parteien nur noch ein Schatten ihrer selbst. Im Laufe der Jahrzehnte hat es in Bezug auf die Akzeptanz der Parteien in der Gesellschaft einen Ermüdungsbruch gegeben. Selbst die Grünen als damalige „Anti-Parteien-Partei“ sind inzwischen nur noch eine ganz normale „Partei ohne Anti“, die mit den Umfragewerten zu kämpfen hat. Die Parteien sind nach wie vor hervorragend geeignet, um Meinungen zu kanalisieren. Aber das hat über viele Jahre auch dazu geführt, dass sich Politiker dahinter verstecken konnten.

Wenn Fußballstars und Politiker PR-geschult inzwischen nahezu identische Statements abgeben, wird in der Gesellschaft der Wunsch nach Persönlichkeiten wieder größer, die sich von der Masse abheben und in der Lage sind, zu begeistern. Einzelne Menschen können den Unterschied ausmachen. Ein Großteil der Wähler wählt Angela Merkel, nicht die CDU. Wo wäre die FDP ohne Christian Lindner? Und wie wäre es den Grünen ergangen, wenn bei der Urwahl nicht das Duo Infernale der Austauschbarkeit und Langeweile gesiegt hätte, sondern Robert Habeck aus Schleswig-Holstein?

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Natürlich gibt es Zweifler. Trudeau aus Kanada, Marcon aus Frankreich, Kurz aus Österreich – das seien die neuen Kennedys unserer Zeit. Das seien junge Männer in schmal geschnittenen Anzügen sind, bei denen man nicht so genau wissen könne, ob ihr politisches Geschick und ihr Können nicht genauso schmal sind wie ihre Sakkos. Verbreitet werden solche Kritiken zumeist von älteren Männern, deren Anzuggrößen mit den Jahren hinter dem Schreibtisch mitgewachsen sind, und die den klassischen und anachronistischen Tarifgedanken in die Politik übertragen. Wer älter ist, muss mehr verdienen. Und wer in der Politik älter ist, der kann auch erst dann mehr Verantwortung übernehmen.

Das Gegenteil ist der Fall. Die Politik mit ihren ausgelaugten und immer mitgliederschwächeren Parteien braucht dringend dieses frische Blut. Wir brauchen diese mutigen jungen Frauen und Männer, die auch einmal bereit sind, gegen den Strom zu schwimmen, etwas zu riskieren, sich klar und deutlich artikulieren und Charisma mitbringen. Sie sind die einzige Chance auf eine Repolitisierung der Gesellschaft. Das politische Hinterzimmer, mit dem die Parteien immer wieder verbunden werden, ist dadurch natürlich nicht verschwunden. Es sitzen nur andere Politiker darin. Das muss nicht schlechter sein.

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CONTRA: Starke Politiker können keine Parteien ersetzen oder gar überflüssig machen. Sie laufen Gefahr, Allmachtsphantasien zu entwickeln, meint Klaus Wallbaum.

Emanuel Macron, der neue Präsident Frankreichs, möchte wie ein Modernisierer wirken. Deshalb hat er jüngst drei Entscheidungen getroffen, die international aufhorchen ließen. Erstens: Die Hälfte seines neuen Kabinett ist weiblich. Zweitens: Die Hälfte seines neuen Kabinetts besteht aus Ministern, die keiner Partei angehören. Drittens: Diejenigen seiner Minister, die parteigebunden sind, kommen aus dem linken und dem rechten, dem mittleren und dem weiter von der Mitte entfernten Lager zusammen – also: er bietet die ganze Bandbreite auf.

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Ist das der neue Zug der Zeit, dass die Parteien verblassen hinter der Strahlkraft von charismatischen Führungspersonen, die das Land mit einem betont überparteilichen Anspruch führen wollen? Während Macron die politischen Verhältnisse in Frankreich revolutioniert, schickt sich in Österreich der bisherige Außenminister Sebastian Kurz an, mit einer „Liste Sebastian Kurz“ in die nächste Wahl zu starten. Seine Partei, die verbrauchte ÖVP, wird dabei zur Randnotiz. Wie sich das in Paris und Wien nun entwickelt, ist schwer abzuschätzen. Ein negatives Beispiel indes kann man schon besichtigen – nämlich die USA. Donald Trump, der Sieger der Präsidentschaftswahl, war zwar formal Kandidat der Republikaner, führte seine Kampagne aber gegen „das Establishment“. Heute muss er mit seiner Partei regieren, und wie schwer es den Republikanern fällt, diesen eigensinnigen, unkalkulierbaren und überheblichen Regierungschef im Zaum zu halten, wird jeden Tag deutlicher.

Wie gefährlich die Fokussierung auf eine starke und charismatische Führungsfigur ist, zeigen die Beispiele, in denen diese Figur nicht mehr ausgleichen und vermitteln, sondern kraft seiner Selbstüberschätzung das Land in eine bestimmte extreme Richtung lenken will. Von Trump kann man das noch nicht behaupten, zu ungeordnet wirkt sein Kurs. Aber der türkische Präsident Erdogan ist so ein Beispiel. Die Verfassungsreform entkräftet das Parlament und damit auch seine eigene Partei, gestärkt wird die Exekutive. Es beginnt meistens mit der Schwächung der Opposition und der Justiz, wie auch in Polen und Ungarn zu beobachten ist – und es endet mit einer Schwächung der Volksvertretung an sich.

Macht ist verführerisch, und deshalb ist jeder, der auf einer Welle der großen Sympathie in ein politisches Amt kommt, latent in der Gefahr, die Rückkopplung zur Basis zu verlieren. Das kann auch Macron passieren: Wenn das Parlament schwach ist und aus vielen Splittergruppen besteht, ist die Macht des Präsidenten umso größer. Politik bedeutet in der parlamentarischen Demokratie aber, die Volksvertreter einzubeziehen, möglichst viele gesellschaftliche Kräfte zu beteiligen und Kompromisse zu schmieden. Ein starker Führer, der das Volk mit einer Kampagne aufhetzt und auf die Hinweise und Meinungen der Volksvertreter in den Parlamenten pfeift, kann dieses Prinzip aushöhlen. Deshalb sind starke und funktionsfähige Parteien und Parlamente wichtig, um den Willensbildungsprozess nicht zu sehr von der Figur des politischen Führers abhängig werden zu lassen. Sie bilden ein Gegengewicht, ein Korrektiv. Je mehr, desto breiter wird der politische Willensbildungsprozess, desto mehr Gesichtspunkte fließen in die Entscheidung ein. Desto besser ist es also für das Gemeinwesen.

Macron baut jetzt eine eigene Partei auf, die auf ihn eingeschworen wird. Das ist riskant: Denn alle Neugründungen, in denen es keine gewachsenen, überlieferten und über Jahre geformten Prozesse und Positionen gibt, sind anfällig für Unterwanderungen. Was geschähe wohl, wenn Macrons junge Bewegung, auf die er sich stützen wird, im Hintergrund gesteuert wird von wenigen, die die Strippen ziehen und ihre eigenen Interessen verfolgen? Diese Gefahr ist überall dort besonders groß, wo in einer maßlosen Kampagne „das Establishment“ in die Wüste geschickt wird und im Namen einer dubiosen „Erneuerung“ nur eine Machtverschiebung organisiert wird.

Oft steckt ein Marketing-Gag dahinter, wenn Politiker sich von den Parteien abgrenzen und vermeintlich überparteilich die Werbetrommel rühren. Was danach geschieht, muss nicht unbedingt besser sein als der vorherige, oft als lästig empfundene Zustand. Das Beispiel Italien sollte uns eine Lehre sein: Als die traditionellen Parteien wie die Democrazia Cristiana und die Partito Socialista Italiano zerbrachen, zugegeben als Folge von Korruption, Vetternwirtschaft und totaler Zerstrittenheit, schlug bald die Stunde des Silvio Berlusconi. Aber war seine Bewegung tatsächlich  eine Auffrischung der Demokratie? Mit seinem Vermögen baute er sich eine politische Institution auf, hielt sich damit aber auch überraschend lange an der Regierungsspitze. Aber seine Regierungszeit war wohl in erster Linie segensreich für Berlusconi selbst, also für die übermächtige Figur an der Spitze . Das aber darf kein Maßstab sein – und deshalb ist es wichtig, für starke, funktionsfähige und lebendige Parteien zu sorgen. Das ist auch eine Form der Gewaltenteilung zwischen dem Regierungschef und den politischen Kräften, die ihn tragen. So etwas ist richtig und sinnvoll – zum Wohle der Demokratie.

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