Die Politik diskutiert heftig darüber, die Wissenschaftler sind sich nicht einig: Müssen die strengen Regeln, die den Menschen auferlegt wurden, das Kontaktverbot, die Geschäftsschließungen, die Schulschließungen und die Verbote von Feiern und Versammlungen, spätestens nach Ostern wieder aufgehoben werden? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Pro & Contra: Klaus Wallbaum (li.) & Martin Brüning

PRO: Die Fragen nach Zulässigkeit und Nutzen der aktuellen Strategie werden lauter. Land und Bund brauchen jetzt einen Exit-Plan und müssen diesen offen kommunizieren, meint Martin Brüning.

Bisher haben wir keinen Grund zur Klage. Auch bei uns gibt es zwar tragische Todesfälle und Corona-Erkrankungen mit schweren Verläufen, aber verglichen mit Ländern wie Italien und Frankreich läuft die Krise bisher einigermaßen glimpflich ab. Das Gesundheitssystem ist bislang nicht überfordert, es gibt eine große Solidarität und Disziplin in der Bevölkerung und die Politik hat ihre Sache weitgehend gut gemacht. Natürlich sind die Einschränkungen ein massiver Eingriff in die Grundrechte und die Skepsis, ob das alles durch das Infektionsschutzgesetz wirklich gerechtfertigt ist, mehr als berechtigt.


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Auch unser Alltag hat sich deutlich geändert. Gerade Familienväter, so hört man immer wieder, tun sich mit Home-Office gerne einmal schwer, Einkaufen im Supermarkt bereitet nicht mehr so viel Freude wie früher dem einen oder anderen fällt langsam die Decke ein wenig auf den Kopf. Dennoch besteht zum Jammern kein Anlass, sogar Toilettenpapier ist wieder weitgehend verfügbar. Man muss nicht so weit gehen wie ein Autor in der Neuen Zürcher Zeitung, der Kritikern der aktuellen Maßnahmen ein „postmodern hysterisierendes Betroffenheitstheater“ vorwarf. Denn noch ist es uns allen durchaus möglich, mit der aktuellen Situation weitgehend zurechtzukommen.

Die langfristigen wirtschaftlichen Schäden der aktuellen Maßnahmen werden mit jedem Tag größer, es drohen Insolvenzen und Arbeitslosigkeit.

Haben wir uns also mit der Situation arrangiert? Ja und Nein. Im privaten Umfeld kommen die meisten mit den Einschränkungen mehr oder weniger gut zurecht, dennoch werden die Fragen nach der Verhältnismäßigkeit zu Recht lauter verbunden mit dem Nachdenken darüber, wie es denn nun eigentlich weitergeht. Dabei spielt nicht nur unsere persönliche Befindlichkeit eine Rolle, sondern auch die Sorge, ob wir unsere Wirtschaft nach dem Shutdown wieder zum Laufen kriegen. Die langfristigen wirtschaftlichen Schäden der aktuellen Maßnahmen werden mit jedem Tag größer, es drohen Insolvenzen und Arbeitslosigkeit.

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer tickte die Uhr vom ersten Tag an vernehmlich. Zudem befindet sich die Politik in den kommenden Tagen an einem kritischen Punkt, weil die Frage der Exit-Strategie auch eine Frage der Gerechtigkeit darstellt. Es war allzu verständlich, dass sich viele bereits über die Öffnung der Gartencenter wunderten. Warum Menschen am Sonnabend durch ein Gartencenter schlendern dürfen, aber nicht durch den Fahrradladen, erschließt sich nicht.

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Das spricht umso mehr dafür, die Möglichkeiten eines gestaffelten Exits offen zu diskutieren, statt die Bevölkerung wie Kleinkinder zu behandeln. Die Strategie in Bund und Land, möglichst nicht über den Exit zu sprechen, um die Disziplin in der Gesellschaft nicht zu gefährden, ist zwar verständlich, aber auch arrogant und einer mündigen und liberalen Gesellschaft nicht angemessen. Wir sind eben nicht in China oder Südkorea, wo es eine größere Bereitschaft dazu gibt, auf Anweisungen der Regierung zu warten und sich diesen weitgehend zu fügen.

Das macht es für Regierungsvertreter in Deutschland anstrengender, dennoch sind gerade in diesen Ausnahmezeiten transparente Verfahren wichtiger denn je, um Vertrauen in die Entscheidungen herzustellen. Hinzu kommt, dass Entscheidungen in anderen Staaten auch auf Deutschland Einfluss haben werden. Die Lockerung der Maßnahmen in Österreich hat dabei nicht nur einen psychologischen Effekt in Deutschland, sondern es wird – zumindest in Südbayern – auch einen sehr praktischen Effekt beim kleinen Grenzverkehr geben.

Wir sind eben nicht in China oder Südkorea, wo es eine größere Bereitschaft dazu gibt, auf Anweisungen der Regierung zu warten und sich diesen weitgehend zu fügen.

Land und Bund brauchen einen Exit-Plan und müssen diesen offen kommunizieren. So spricht nichts dagegen, wenn die Zahlen es zulassen, nach Ostern an einigen Stellen mit einer sanften Rückkehr in die Normalität zu beginnen. So könnte an den Schulen Abiturienten und Grundschülern Vorrang eingeräumt werden, der öffentliche Personennahverkehr die Taktung sukzessive wieder erhöhen und auch Geschäften sowie Restaurant könnte unter Auflagen die Öffnung gestattet werden.

Der Staat muss zugleich so viel kontrollieren wie möglich, damit Auflagen und Abstände eingehalten werden. Es reicht eben nicht aus, nur Verordnungen zu schreiben, man muss auch in der Lage sein, deren Einhaltung vor Ort auch zu prüfen. Parallel zum Ende des Shutdowns müssen Risikogruppen weiter geschützt und die Test- und Behandlungskapazitäten erhöht werden, nötig ist auch das Bemühen, dass die Smartphone-App zur Analyse der Corona-Infektionswege so weit möglich Verbreitung findet.

Für Länder und den Bund ist das alles ein gesundheitspolitischer Ritt auf der Rasierklinge, und keinem werden die Entscheidungen leicht fallen. Sie sind aber dennoch nötig und dürfen nicht in Hinterzimmern getroffen werden. Nur so ist die größtmögliche Akzeptanz für den Weg des Exits gewährleistet, eine Phase, die vielleicht viel schwieriger und umstrittener wird als der Lockdown selbst.

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CONTRA: Je schneller die massiven Beschränkungen der Freiheitsrechte enden, desto besser ist es für die Gesellschaft. Dass die Menschen sich nicht zu größeren Gruppen treffen können und das gesellschaftliche Leben daniederliegt, schadet auf Dauer dem Zusammenhalt. Trotzdem gilt absolut vorrangig: Der voraussichtliche Anstieg der Kurve der schwer Erkrankten muss gebremst werden, damit die Kapazitäten in den Krankenhäusern hinterherkommen können, meint Klaus Wallbaum.

Der Ton wird schärfer, die Debatte nimmt an Leidenschaft zu: Waren in den ersten Wochen nach den drastischen Kontaktsperren all jene, die am öffentlichen Diskurs teilnehmen, zunächst beeindruckt oder auch geschockt von der Entwicklung, so werden nun die Stimmen der Skeptiker immer lauter. Dabei kommen auch einige Analysen und Behauptungen zum Vorschein, die in ihrer kritischen Zuspitzung sehr eingängig klingen, aber leider auch oft vom Kern ablenken.

Immer wieder heißt es etwa, die vom Corona-Virus ausgelöste Covid19-Erkrankung sei nicht schlimmer als eine normale Grippe, habe keine höhere Sterblichkeit zur Folge und die Politik begegne der Krankheit nicht sachgerecht – sondern panisch und total überzogen. Sie opfere Grundrechte in der vermeintlichen Absicht, eine Katastrophe zu bekämpfen, die alles andere als bewiesen sei.

Wir wissen momentan noch zu wenig über das Corona-Virus, deshalb können wir uns eine vorschnelle Lockerung der Beschränkungen nicht leisten.

Nun ist der wissenschaftliche Disput etwas für die Fachleute, und längst nicht jeder, der sich zu diesen Fragen äußert, versteht auch etwas davon. Klar indes sind derzeit drei Tatsachen: Erstens gibt es bisher weder Medikamente, mit denen Covid19 wirksam bekämpft werden kann, noch einen Impfstoff, dessen Verabreichung die massenhafte Infizierung bremsen könnte. Zweitens sind die Art, wie sich das Virus verbreitet, und die Folgen, die eine Ansteckung für die Erkrankten haben kann, noch nicht ausreichend erforscht.

Es gibt Hypothesen und es gibt Gegen-Annahmen, auf der anderen Seite gibt es Bilder aus Norditalien oder aus New York, die gruselig sind. Die Berichte über massenhaft Verstorbene dort widersprechen den Ansichten, es handele sich bei Covid19 um eine „normale Grippe“ oder betroffen seien nur Menschen in bestimmten Gebieten, etwa solchen mit hoher Luftverschmutzung. Tatsache ist: Wir wissen momentan noch zu wenig über das Corona-Virus, deshalb können wir uns eine vorschnelle Lockerung der Beschränkungen nicht leisten.

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Der richtige Weg ist daher, aus Respekt vor dieser Krankheitswelle einen Gang zurückzuschalten und die Kontakte zu minimieren. Nicht, weil man so die Ansteckung verhindern könnte. Nein, nach wie vor geht es nur um einen Zusammenhang: Der explosionsartige Anstieg der Neuinfektionen soll gebremst werden, damit die Zahl der schwer Erkrankten nicht so rasch steigt und in der Zwischenzeit genug neue Behandlungskapazitäten in den Krankenhäusern aufgebaut werden können. Dass dieser Aufbau langsamer als geplant voranschreitet, auch wegen des Mangels an Beatmungsgeräten, gehört zur Tragik dieser Tage dazu. Ziel muss es sein, jederzeit ausreichend Intensiv-Betten für den Fall einer starken Steigerung der schwer an Covid19 Erkrankten bereithalten zu können.


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Natürlich sind auf jeder Etappe zu diesem Ziel Kompromisse vonnöten. Was soll man zulassen, was soll man verbieten? Jeden Tag aufs Neue muss dies gründlich abgewogen werden, und die Erwartungen sind geweckt, dass es vor der am 20. April beginnenden Woche bundesweit Klarheit gibt über das, was geschehen sollte. Hier ein paar Vorschläge für das, was man tun kann:

Erstens sollte der Schulbetrieb wieder beginnen – vielleicht zunächst für die Grundschulen und die Abiturklassen. Alle übrigen könnten im Juni wieder starten, verbunden mit der Auflage von Sonder-Aufgaben für die Zeit der Sommerferien. Die Zeugnisse könnten dann auf die Zeit unmittelbar vor Start des neuen Schuljahres verschoben werden.

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Zweitens sollten spätestens ab Mitte Mai mehr Geschäfte wieder öffnen, eigentlich so gut wie alle. Die strengen Abstandsregeln indes sollten überall gelten. Ein Mundschutz (einfache, aus Stoff genähte Masken) kann für jedermann, der in Geschäften einkauft, vorgeschrieben werden. Das kann auch für die Gaststätten gelten.

Drittens sollte das Versammlungsverbot gelockert werden, ebenfalls verknüpft mit Abstandsregeln. Wenn sich Vereine, Parteien und Initiativen treffen, ist das wichtiger als wenn es um Partys geht, Konzerte oder Großveranstaltungen. Dass wieder viele Leute auf engem Raum zueinander kommen können, müsste noch einige Zeit hinausgezögert werden.

Viertens sollte neue Technik zum Einsatz kommen, die frühere Kontakte zu Infizierten aufzeigt, und per Handy vor möglichen Ansteckungen warnt. Übertriebener Datenschutz ist hier fehl am Platze.

Fünftens sollte eine Strategie entwickelt werden, wie besonders gefährdete Gruppen besser geschützt und auch abgeschottet werden können. Ein Ausgehverbot in Altenheimen ist, so hart es in vielen Einzelfällen wirken mag, durchaus angebracht.

Das alles sollte angepeilt werden – aber es geht tatsächlich nur, wenn das Gesundheitssystem fit genug ist, den erwarteten Anstieg der Covid19-Erkrankten aufzunehmen. Dies ist der Maßstab für die Entscheidung, denn der Schutz des Lebens der Bevölkerung wiegt stärker als die demokratischen Freiheitsrechte jedes einzelnen.