Präventivhaft soll nur bei Terrorgefahr angewendet werden dürfen
Ein seltenes Bild, das gestern von vielen Journalisten für die Ewigkeit festgehalten wurde: Im großen Besprechungsraum des Innenministeriums sitzen Minister Boris Pistorius (SPD) und sein Vorgänger Uwe Schünemann (CDU), jetzt Fraktionsvize seiner Partei, nebeneinander. Ergänzt wird das Duo vom Innenexperten der SPD-Landtagsfraktion, Ulrich Watermann. Die drei Koalitionspolitiker präsentieren die Einigung auf den Entwurf eines ergänzten Polizeigesetzes, das noch im Mai in den Landtag eingebracht und bis Jahresende dort beschlossen werden soll.
In einem Punkt, der schon seit Wahlkampfzeiten besonders umstritten war, erzielten die Akteure bereits einen Konsens: Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte oder ihr Verhalten die Annahme rechtfertigen, dass sie vermutlich eine terroristische Straftat begehen wollen, sollen für maximal 74 Tage in Haft genommen werden können – ohne dass sie schon straffällig geworden sind. Im bisherigen Gesetz liegt die Frist bei zehn Tagen. Nun sind zunächst 30 vorgesehen, die dann um noch einmal 30 und um weitere zwei Wochen verlängert werden können, allerdings nur mit richterlicher Genehmigung. Wie Schünemann erklärte, akzeptiert die CDU an dieser Stelle, dass dieses Mittel ausschließlich bei Terrorverdacht angewandt werden soll.
66 Gefährder in Niedersachsen
Gegenüber dem bisherigen Gesetz sieht der Entwurf weitere Verschärfungen vor. Telefonüberwachung soll möglich werden, wenn dies zur Verhütung von Terroranschlägen dient. Bisher ist hierfür eine „gegenwärtige Gefahr“ erforderlich. Ähnliches ist auch für das Abhören von Wohnungen geplant. Für die Online-Durchsuchung von Computern wird ebenfalls eine Rechtsgrundlage geschaffen. Zudem sieht das neue Gesetz Kontaktverbote vor, Aufenthaltsverbote und Meldeauflagen für die „Gefährder“, also Personen, von denen man schwere Straftaten erwartet. All diese Punkte sind im Entwurf bisher an die „Terrorgefahr“ geknüpft, insofern hat sich die SPD hier durchgesetzt.
Nur bei der „elektronischen Fußfessel“ wird die Anwendung auf den Verdacht „schwerer organisierter Gewaltstraftaten“ erweitert – also jene Bereiche der Mafia, die etwa auch die Terror-Finanzierung leisten. Schünemann sagte, man wolle in der Parlamentsanhörung die Praktiker und Juristen hören und prüfen, ob man etwa Aufenthaltsverbote ebenfalls verhängen kann, wenn „schwere Gewaltstraftaten“ erwartet werden. Womöglich wird diese Debatte auch mit Bezug auf die Telefonüberwachung geführt werden. In Niedersachsen gibt es derzeit 66 „Gefährder“, davon 64 religiös motiviert, also islamistisch ausgerichtet, ein Rechtsextremist und ein PKK-Anhänger.
Protest von den Jugendorganisationen
Auch die Videoüberwachung wird im Gesetzentwurf weiter konkretisiert. Die Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Bodycams bei Polizisten und für „Section Control“, eine elektronische Geschwindigkeitsmessung über längere Distanzen, die gerade an der B6 erprobt wird, soll geschaffen werden. Öffentliche Räume sollen mit Videotechnik überwacht werden, etwa Weihnachtsmärkte oder Großkundgebungen, auch wenn es keinen konkreten Verdacht auf eine Straftat gibt. Wenn in diesem Zuge Ladeneingänge in den Blick geraten, sollen die auch ohne Einverständnis der Eigentümer gefilmt werden können. Für öffentlich zugängliche Einkaufszentren gilt das generell. Menschen, von denen etwa bei Fußballspielen oder Großveranstaltungen „Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr“ drohen, sollen sechs Tage (bisher zehn) in Gewahrsam genommen dürfen.
Bei häuslicher Gewalt beträgt diese Frist maximal zwei Wochen. Wer gegen strenge Auflagen verstößt, soll sich künftig strafbar machen. Außerdem soll im Versammlungsgesetz das Vermummungsverbot neu definiert werden – wer dagegen verstößt, soll sich künftig wieder strafbar machen und nicht mehr nur eine Ordnungswidrigkeit begehen. Rot-Grün hatte dieses Gesetz erst im vergangenen Jahr entschärft, nun will man wieder zur alten Regel zurückkehren. Außerdem soll das Gesetz künftig nicht mehr „Sicherheits- und Ordnungsgesetz“ (SOG) heißen und auch nicht „Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz“ (NGefAG) – wie Rot-Grün es vorgesehen hatte -, sondern „Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz“ (NPOG).
So einig, wie sich Pistorius, Schünemann und Watermann in der Pressekonferenz am Donnerstag zeigten, so vehement widersprachen kurz darauf die Jugendorganisationen von SPD und Grünen. Der Entwurf stelle einen massiven Eingriff in den Freiheits- und Grundrechtsschutz dar, beim Vermummungsverbot vollziehe Pistorius eine 180-Grad-Wendung, sagten Amy Selbig und Jakob Blankenburg von den Jusos.