Es war sieben Minuten vor zwölf, da passierte am Dienstag im Landtag das Unwahrscheinliche, mit dem vorher niemand gerechnet hatte. Am Mikrophon stand Christopher Emden, AfD-Abgeordneter aus Osterholz, und verkündete überraschend, dass seine Partei die angekündigte Klage von FDP und Grünen gegen das gestern frisch beschlossene Polizeigesetz unterstützen werde. Zwar befürworte die AfD stärkere Rechte für die Polizei, doch einige Paragraphen seien noch unausgegoren. „Legen wir die parteipolitischen Geplänkel beiseite und lassen Sie uns gemeinsam gegen dieses Gesetz klagen“, betonte Emden. In den Reihen von Grünen und FDP kam sofort Unruhe auf – schlagartig wurde den Vorsitzenden Anja Piel (Grüne) und Stefan Birkner (FDP) klar: Nun haben sie den „schwarzen Peter“ von der AfD bekommen.

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Die Lage ist nun nämlich verzwickt: Für ein „Normenkontrollverfahren“, also die Überprüfung des Polizeigesetzes auf seine Verfassungsmäßigkeit, braucht man laut Landesverfassung ein Fünftel der Abgeordneten. Es müssten also 28 Abgeordnete vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg klagen. Da FDP und Grüne zusammen nur auf 23 Mandate kommen, müssten mindestens fünf Stimmen aus anderen Fraktionen kommen. Nachdrücklich werben Birkner und Piel seit Tagen bei den Abgeordneten von SPD und CDU dafür, ihre Klage zu unterstützen. „Wenn Sie für das Polizeigesetz sind, dann dürfte es Ihnen doch nicht schwer fallen, dieses verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen“, sagte Birkner gestern in der Landtagsdebatte.

Sebastian Lechner (CDU) widersprach: „Sie wollen uns zu einem schizophrenen Verhalten animieren – wir sollen gegen das Gesetz, das wir gerade beschlossen haben, gleich anschließend klagen.“ Wiard Siebels (SPD) meinte: „Das wäre Schummelei, wenn wir mit unseren Stimmen mithelfen würden, eine nicht vorhandene Gegnerschaft gegen das Gesetz vorzuspiegeln.“ Brenzlig wird es nun für FDP und Grüne, weil die AfD nach Emdens Auftritt mit ihren neun Abgeordneten signalisierte, die Klage zu unterstützen – damit wären es 32 Stimmen, also vier mehr als nötig. Das Quorum wäre also erreicht. Aber Piel und Birkner verkünden unisono seit Wochen, auch gestern wieder: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD gibt es nicht.“

Bringt die AfD einen eigenen Antrag ein?

Damit stecken Freie Demokraten und Grüne in einem Dilemma. Was wiegt mehr, die Verweigerung der Kooperation mit der AfD oder die Gegnerschaft gegen das angeblich verfassungswidrige Polizeigesetz? Anders ausgedrückt: Wenn sie wirklich überzeugt sind, dass das Polizeigesetz vom Staatsgerichtshof überprüft und gestoppt werden muss, sind sie dann nicht in der Pflicht, ihre Vorbehalte gegen die Kooperation mit der AfD zurückzustellen? Die Antwort darauf wird womöglich noch dauern. Wahrscheinlich ist, dass zunächst FDP und Grüne ihren Klage-Antrag in Bückeburg einreichen – noch ohne die ausreichende Zahl von Unterschriften.

Womöglich trägt die AfD ebenfalls einen Antrag vor, nur mit ihren neun Abgeordneten. Dann könnte die AfD noch beantragen, der Klage von Grünen und FDP beizutreten. Das Gericht hätte in der Folge die schwierige Frage zu klären, ob aus den getrennten Willensäußerungen von FDP und Grünen einerseits, AfD andererseits doch ein gemeinsamer Wille eines Fünftels der Landtagsabgeordneten zur Überprüfung des Polizeigesetzes ablesbar wäre. Würden die Richter das bejahen, so könnten sie ein Erreichen des Quorums feststellen, ohne dass FDP und Grüne ihre Unberührbarkeit gegenüber der AfD vorher aufgeben müssten. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

https://soundcloud.com/user-385595761/pistorius-das-polizeigesetz-wahrt-die-balance-zwischen-freiheit-und-sicherheit

So spannend diese juristischen Winkelzüge sind, so heftig war gestern im Landtag noch einmal die Schlussdebatte zum Polizeigesetz. Karsten Becker (SPD) und Uwe Schünemann (CDU) betonten die Notwendigkeit, der Polizei endlich neue Rechte für Online-Durchsuchungen, längere Observationen und Meldeauflagen in die Hand zu geben. Damit erhalte die Polizei endlich die Mittel, den kriminellen Banden, die etwa über Whatsapp oder Facetime kommunizieren, auf die Schliche zu kommen. Schünemann überreichte Innenminister Boris Pistorius (SPD) eine Collage, die beide Politiker zeigt – und er dankte ihm dafür, dass beide sich zusammengerauft hatten. Lechner und Siebels assistierten mit juristischen Hinweisen zum neuen Gesetz. Birkner und Belit Onay (Grüne) wandten ein, das Polizeigesetz belege „machtpolitische Spielchen“ in der Großen Koalition, die SPD habe sich von der CDU treiben lassen, dabei hätten die Landtagsjuristen auf offenkundig verfassungswidrige Inhalte hingewiesen.

Dem widersprach Lechner nachhaltig: Die Neuregelung der Präventivhaft auf maximal 35 Tage sei von den Landtagsjuristen ausdrücklich als vertretbar bezeichnet worden, die kritischen Hinweise etwa zum Einsatz der Kennzeichen-Lesegeräte müssten nach dem Dezember-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der Tat überarbeitet werden. „Aber das betrifft alte, längst bestehende Vorschriften, die jetzt nicht neu beschlossen werden. Wir wollen sie in Abstimmung mit allen anderen Bundesländern bis Jahresende reformieren“, betonte Lechner und fügte hinzu: „Ich weise also entschieden die Behauptung zurück, wir würden etwas Verfassungswidriges beschließen.“ Auch Innenminister Pistorius schlug kurz darauf in diese Kerbe: „Uns zu unterstellen, wir würden vorsätzlich gegen das Grundgesetz verstoßen, ist ein ungeheuerlicher Vorgang.“ Darauf entgegnete Birkner, empört an den Minister gerichtet: „Erheben Sie sich hier nicht zum Richter über die politische Meinung anderer.“

In der namentlichen Abstimmung sprachen sich anschließend die Abgeordneten von SPD und CDU geschlossen für das neue Polizeigesetz aus, FDP, Grüne und AfD waren einmütig dagegen. Der nächste Akt in diesem Drama wird wohl in Bückeburg aufgeführt werden. (kw)


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