Polizeigesetz: Darf der Staat auch Unterlagen von Journalisten auswerten?
Es ist der oft sehr schmale Grat zwischen Freiheit und Sicherheit, der bei den Debatten über das neue Polizeigesetz immer wieder aufs Neue beleuchtet wird. Zum Beispiel dieser Fall: Die Polizei beschlagnahmt bei einer Durchsuchung Unterlagen von Journalisten, die als „Berufsgeheimnisträger“ einen besonderen Schutz genießen. Dürfen die Behörden, wenn es der Abwehr einer Gefahr dient, diese Akten auswerten – oder ist das prinzipiell untersagt, da es sich ja um das Material einer gesetzlich geschützten Personengruppe handelt?
Im Entwurf für das neue Polizeigesetz, das laut bisherigem Plan im Mai endgültig vom Landtag beschlossen werden soll, ist dieser Sachverhalt bisher widersprüchlich formuliert gewesen. Nach der gestrigen Beratung des Landtags-Innenausschusses ist jedoch klar: Der Polizei soll nicht generell verboten werden, dieses Material auszuwerten. Voraussetzung ist vielmehr eine Güterabwägung zwischen der Gefahr und dem Schutzinteresse der Journalisten. Auch für Ärzte soll es ähnlich gelten.
Rügen von den Landtagsjuristen
Seit Monaten schon ringt der Landtag um das neue Polizeigesetz. SPD und CDU wollen die Wege der Polizei, gegen terroristische oder schwer-kriminelle Gruppen vorzugehen, den neuen technischen Gegebenheiten anpassen. Gerade die neue Form des islamistischen Terrorismus hat gezeigt, dass der Staat oft nicht die üblichen Vorzeichen wahrnehmen kann, weil spontan agierende und zum Äußersten neigende Einzeltäter aktiv werden können. Auch gibt es neue Techniken wie Staatstrojaner und Online-Durchsuchungen, die sich auf Handys und Computer beziehen, also auf moderne Kommunikationsmittel, die von Kriminellen längst umfangreich genutzt werden. Zu Debatten hat bisher vor allem die geplante Verlängerung der „Präventivhaft“ geführt: Personen, denen unterstellt wird, dass sie terroristische Anschläge planen, sollen bis zu 74 Tage lang festgehalten werden können. Darüber und über den Wunsch der CDU, auch moderne Formen der Videoüberwachung mit automatischer Gesichtserkennung nutzen zu können, hat die Koalition – wie es heißt – noch nicht abschließend entschieden.
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Im Innenausschuss haben die Vertreter des „Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes“ (GBD), also der unabhängigen Landtagsjuristen, ihre Bewertung zu mehreren Detailvorschlägen im Gesetz vorgetragen. Sie rügten, dass die vor einem Polizeieingriff nötigen Hürden oft zu niedrig angelegt seien. Uta Schöneberg, Rechtsexpertin des Innenministeriums, widersprach an einigen Stellen. Während FDP und Grüne als Oppositionsfraktionen oft auf der GBD-Seite waren, neigten die Koalitionsvertreter stärker zur Seite des Ministeriums:
„Berufsgeheimnisträger“: Einige Berufsgruppen wie Geistliche, Rechtsanwälte und Parlamentsabgeordnete genießen im deutschen Recht einen sehr strengen Schutz, ihre Unterlagen und Daten dürfen nicht ausgewertet werden. Anders ist es bei Journalisten, Ärzten oder Psychotherapeuten – bei ihnen ist eine Abwägung nötig zwischen ihrem eigenen Schutzinteresse und dem Interesse des Staates an Gefahrenabwehr. Im Entwurf des Gesetzes war aber eine Regel enthalten, die einen absoluten Schutz vorsah – demnach wäre der Polizei prinzipiell verboten, Material von Journalisten und Ärzten zu nutzen. Die Ausschussmehrheit sprach sich bei Enthaltung von FDP und Grünen dafür aus, auf diesen absoluten Schutz zu verzichten. Wenn es für die Gefahrenabwehr unbedingt nötig wäre, soll die Polizei hier auch tätig werden dürfen.
Videoüberwachungen: Der Entwurf sieht vor, dass die Polizei Menschenansammlungen und größere Veranstaltungen auch verdeckt filmen darf, wenn Tatsachen die Annahme einer bevorstehenden Straftat rechtfertigen. Allerdings soll das kein Richter anordnen müssen – auch eine nachträgliche Unterrichtung der Betroffenen ist nicht vorgesehen. Der GBD vermutet hier, diese Regel könne nur vorgeschoben sein, um in Wirklichkeit Straftäter verfolgen zu wollen. Doch dazu sei das Polizeigesetz nicht gedacht, denn das Land Niedersachsen habe nur die Zuständigkeit bei der Abwehr von Gefahren, die Strafverfolgung regele der Bund. Aus Sicht des GBD ist die Eingriffsschwelle zu niedrig, zumindest eine richterliche Anordnung sei nötig – wie es in einem anderen Paragraphen, der sich speziell auf bestimmte verdächtige Personen bezieht, auch geplant ist. Innenministerium und Koalitionsvertreter widersprachen: Es gebe Menschenansammlungen, etwa bei Fußballspielen, in denen sich einzelne Personen tatsächlich zu Straftaten verabreden, Waffen austauschen oder verbotene Symbole zeigen. Wenn die Polizei dann die Videobilder noch während der Veranstaltung auswerte und die Betroffenen festhalte, könne diese Vorschrift in der Polizeipraxis als Teil der Gefahrenabwehr sehr sinnvoll sein. Diese Vorschrift steht übrigens schon seit 1994 im Polizeigesetz – und das damalige wurde noch von der ersten rot-grünen Mehrheit im Landtag beschlossen. Der GBD-Sprecher sagte, der historische Hinweis sei kein Zeichen von besonderer Qualität: „1994 herrschte im Datenschutzrecht im Vergleich zu heute noch die Steinzeit.“
Bodycam und Speicherfristen: Wie lange sollen Videoaufzeichnungen bei der Polizei gespeichert werden dürfen? GBD und Innenministerium kamen überein, als Maximum sechs Wochen festzulegen – so wie auch im Bundesrecht verankert. Ursprünglich war im Entwurf eine längere Frist vorgesehen. Was die Bodycam angeht – also die mobilen Kameras, die Polizisten im Einsatz einschalten können -, drehen sich die Bedenken um Frage, wann diese eingesetzt werden dürfen. Im Entwurf ist von besonderen „Umständen“ die Rede. Dem GBD ist das zu diffus, er befürchtet, die Polizei bekomme damit einen zu großen Spielraum. Besser wäre, dass man als Voraussetzung nennt: Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, es könne zu einer Straftat kommen. Das Innenministerium widerspricht: Es gebe viele schwer erkennbare Situationen, die plötzlich eskalieren könnten – ohne dass konkrete Tatsachen schon auf eine solche Gefahr hindeuten.
Informationspflichten: Wann muss jemand, dessen Wohnung überwacht oder dessen Computer durchsucht wurde, nach Abschluss dieses Eingriffs von der Polizei informiert werden? Das Innenministerium schlug eine Frist von bis zu einem Jahr vor, damit mögliche Täter nicht gewarnt werden können. Für den GBD ist das zu lang, da die Eingriffe doch sehr weitgehend seien und die Betroffenen ein Recht auf rasche Information hätten. Das Ministerium will einlenken.
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Datenschutz: Viele im neuen Gesetz geplante Vorschriften, die den Umgang mit persönlichen Informationen, Speicher- und Benachrichtigungspflichten der Polizei betreffen, müssen laut GBD noch an die neuen Richtlinien der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung angepasst werden. Die Ausschussmehrheit von SPD und CDU entschied, dies erst viel später in einem eigenen Gesetz zu verarbeiten und deshalb die Beratung des Polizeigesetzes nicht aufzuhalten. Belit Onay (Grüne) und Stefan Birkner (FDP) widersprachen. Am Nachmittag verschickte SPD-Generalsekretär Axel Saipa eine Mitteilung, in der er sich gegen einen „Schnelldurchlauf“ beim Polizeigesetz und für „sorgfältige Beratungen“ aussprach. (kw)