Darum geht es: Den Statistiken zufolge sind zwischen fünf und 15 Prozent der Kinder in Deutschland zu dick. Aber ist die Bekämpfung des Übergewichts eine Aufgabe für die Landesregierung? Die FDP hatte im Landtag zumindest danach gefragt. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Schmeckt lecker, muss man aber nicht jeden Tag essen. Und das sollte man nicht erst im Schulunterricht lernen müssen – Foto: Mara Zemgaliete

Kennen Sie Johann Kesselhut? Er ist der Diener des Geheimrats Eduard Schlüter in Erich Kästners Roman „Drei Männer im Schnee“. Diener waren in reichen Haushalten Anfang der 30er-Jahre, als der Roman geschrieben wurde, nicht ungewöhnlich. Kesselhut bürstet Schlüter den Anzug auf, packt seinen Reisekoffer und serviert den Kaffee. Heute sind Butler wie Johann Kesselhut oder Schlüters Hausdame Frau Kunkel eher selten anzutreffen. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Diener mehr gibt. Im Gegenteil: Bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein lässt man sich heute gerne von stummen, technischen Dienern helfen. Der Saugroboter schnurrt durch die Wohnung, der Mähroboter arbeitet vor der Terrassentür, Bringdienste liefern die Einkäufe vor der Tür ab und in einer paar Jahren bestellt voraussichtlich sogar die digitale Waschmaschine automatisch das Waschmittel nach. Wie lassen uns gerne bedienen und müssen uns um immer weniger selbst kümmern.

„Nicht jede gesellschaftliche Fehlentwicklung lässt sich in Schule und durch neue Schulfächer auffangen. Bei der Frage der Ernährung sind die Erziehungsberechtigten in der Pflicht.“

Aus einer Antwort des Kultusministeriums

Dass diese Entwicklung nicht nur positiv ist, lässt sich im Alltag immer wieder feststellen. Wir werden faul und lassen immer häufiger gerne andere die Aufgaben erledigen, für die wir eigentlich selbst verantwortlich wären. Auf den Staat wird gerne geschimpft, weil die Steuern zu hoch, die Schlaglöcher in den Straßen zu groß und die Wartezeiten in den Ämtern zu lang sind. Andererseits soll er sich aber um Dinge kümmern, für die er überhaupt nicht zuständig ist. Befremdlich ist, dass selbst die FDP, eigentlich der politische Hort der Eigenverantwortung, ebendiese in einer Anfrage an die Landesregierung selbst in Frage stellt. „Welche Maßnahmen plant die Landesregierung gegen Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen?“, fragten die Freien Demokraten im Landtag vergangene Woche die Landesregierung.

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Müssten sich nicht eigentlich die Eltern in erster Linie um die Gesundheit ihrer Sprösslinge kümmern? Umso erstaunlicher, dass aus dem Kultusministerium die Antwort kommt, die eigentlich die FDP qua eigener Haltung schon allein von der Frage hätte abhalten müssen: „Nicht jede gesellschaftliche Fehlentwicklung lässt sich in Schule und durch neue Schulfächer auffangen. Bei der Frage der Ernährung sind die Erziehungsberechtigten in der Pflicht.“

Johann Kesselhut wird den Eltern ihre Aufgaben nicht abnehmen

Schlimm genug, dass die niedersächsische Agrarministerin überhaupt über eine „Stärkung der Alltagskompetenzen“ von Schülern, wie es in der Antwort der Landesregierung heißt, öffentlich nachdenken muss. Es ist seit Jahren eine Mode, bei gesellschaftlichen Fehlentwicklungen sofort nach neuen Schulfächern zu rufen. Was wurde schon alles gefordert: Gutes Benehmen, Alltagswissen, Kochen und Ernährung, sogar das Schulfach Glück findet Befürworter. Die Schule soll zum Herrn Kesselhut für unsere Kinder werden. Aber die Schule ist kein Diener, der alle Defizite von Eltern ausgleichen kann und soll. Es muss immer wieder an die Eigenverantwortung von Eltern appelliert werden.


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In welche Richtung entwickeln wir uns, wenn wir der Schule überlassen, mit unseren Kindern zu kochen, ihnen beizubringen, wie man sich anständig benimmt oder ihnen zu erklären, dass Geld, Schokolade und Chips allein nicht glücklich machen? Man sollte den Schulen die Möglichkeit geben, sich wieder auf ihre wichtigen Kernaufgaben zu konzentrieren. Und genau dasselbe sollte man von Eltern erwarten können. Deshalb sollte die Politik auch durchaus den Mut haben, Eltern immer wieder an diese Verantwortung zu erinnern und Forderungen an neue Schulfächer abzuwehren. Johann Kesselhut wird den Eltern ihre Aufgaben nicht abnehmen.

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