Pistorius hält Antisemitismus-Beauftragten für „sinnvolle Personalentscheidung“
Wenige Wochen ist es her, da hat sich Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) auf einer Israel-Reise über die dortige Politik informiert – und auch die Gedenkstätte Yad Vaschem besucht. „Wenn man einmal dort war, versteht man, warum man immer hellwach bleiben muss, Haltung zeigen und einschreiten, wenn die NS-Vergangenheit verharmlost wird“, sagt der Minister. Wieder in Deutschland, hat er immerhin eine erfreuliche Botschaft: Die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten in Niedersachsen ist von 128 im Jahr 2017 auf 99 im Jahr 2018 zurückgegangen.
Ist es bei diesem Trend womöglich entbehrlich, sich dem Phänomen des Antisemitismus besonders zu widmen? „Nein, ich denke, wenn wir nun in einem Jahr einen Rückgang zu verzeichnen haben, ist bei diesem Thema noch lange nicht Entwarnung angesagt. Ich denke, dass ein Antisemitismus-Beauftragter schon eine sinnvolle Personalentscheidung wäre – aber das ist nicht meine Entscheidung“, betonte der Minister.
In Niedersachsen wird seit längerem über dieses Thema diskutiert, eine erste Forderung in dieser Richtung hatte Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) im Gespräch mit dem Rundblick unterbreitet. Jüngst hatte die AfD diesen Schritt gefordert, war aber von den anderen Parteien angegriffen worden, da ihr Einsatz gegen Judenfeindlichkeit wenig glaubwürdig sei. Allgemein wird erwartet, dass die Große Koalition einen Vorschlag für die Berufung eines solchen Beauftragten entwickeln wird.
Politisch motivierte Gewalt geht zurück
Pistorius stellte gemeinsam mit Landespolizeipräsident Axel Brockmann die Entwicklung der politisch motivierten Gewalt im vergangenen Jahr vor. Insgesamt ist ein Rückgang von 12,5 Prozentpunkten feststellbar – nach 2857 Straftaten 2017 gab es ein Jahr später 2501. Deutlich rückgängig ist die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Gab es noch 2016 insgesamt 70 solcher Taten, so waren es ein Jahr darauf 22, im Jahr 2018 sind dann elf festgestellt worden. Bei der Einordnung der politisch motivierten Kriminalität in verschiedene Gruppen bildet die der Rechtsextremisten die größte. 2017 hatte es hier 1400 Taten gegeben, im vergangenen Jahr waren es 1318.
Allerdings ist die darin enthaltene größte Untergruppe die der Propagandadelikte – also das Zeigen von Hitlergrüßen oder das Schmieren von Hakenkreuzen. 820 der 1318 Fälle kommen in diese Kategorie. Den „Reichsbürgern“, von denen es in Niedersachsen 1400 geben soll, werden im vergangenen Jahr 84 Straftaten zur Last gelegt – vorwiegend Beleidigungen oder Nötigungen von Amtspersonen wie Polizisten oder Ordnungsamtsmitarbeiter. Seit knapp einem Jahr arbeitet die Polizei mit einer Richtlinie, die „Reichsbürgern“ besser als bisher den Zugang zu Waffen und Sprengstoff verwehrt werden soll. 2018 wurden 103 Angriffe auf Amtspersonen registriert – das sind 47 weniger als im Jahr zuvor.
Wirken von Islamisten nicht besonders auffällig
Im vergangenen Jahr wurden 548 Fälle von linksextremistischer motivierter Kriminalität vermerkt – nach 591 im Jahr zuvor. Darunter sind auch 83 Gewaltdelikte (bei rechtsextremistischer Kriminalität gab es 54 Gewaltdelikte). Neun Brandstiftungen wurden linksextremistischen Tätern zugeordnet, regionale Schwerpunkte von Gewaltaktivitäten sind Hannover und Göttingen. Als Opfer von linksextremistischer Gewalt sind häufig Polizisten, AfD-Anhänger oder Burschenschaft-Studenten betroffen. Es hatte Anschläge auf Autos der Bundeswehr oder auf Kabelschächte an Bahnstrecken gegeben, manches stehe im Zusammenhang mit angeblichen Rüstungsexporten in die Türkei.
Die türkische Militäroffensive auf kurdische Gebiete in Nordsyrien und in der Stadt Afrin habe zu einer Welle von Gewaltaktionen geführt. Hier vermutet das Innenministerium auch die Ursache dafür, dass die Gewalttaten ausländischer oder religiöser Ideologie gewachsen sind – von 20 auf 53 Fälle. Das Wirken von Islamisten war 2018 nicht besonders auffällig, die registrierten Straftaten gingen sogar von 72 im Vorjahr auf 46 zurück.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Dietmar Schilff, forderte ein entschiedenes Vorgehen gegen alle, die Rettungskräfte und Polizisten attackieren: „Hier muss mit Gerichtsverfahren konsequent deutlich gemacht werden, dass der Staat derartige Angriffe auf seine Vertreter nicht duldet.“