Pflegeunternehmer mahnt: Politik sollte die Pflege gewähren lassen
Im Ringen um Lösungen für die vielfältigen Probleme der Pflegebranche bittet der Pflegeunternehmer Ulrich Zerhusen aus Lohne (Kreis Vechta) die Politik um Zurückhaltung und Zutrauen. „Wir wissen doch in der Pflege selbst, was wir zu tun oder zu lassen haben“, sagt der 39-Jährige im Podcast-Gespräch mit den Rundblick-Redakteuren Anne Beelte-Altwig und Niklas Kleinwächter. Wenn Politiker ihn fragten, was sie für die Pflege tun sollten, antworte er: „Bitte nichts! Zurückrudern!“
Die Einrichtungen wüssten selbst am besten, was sie brauchen, seien aber durch die „völlige Überregulierung in der Pflege“ nicht in der Lage, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen. „Diese Unmündigkeit, dass immer alles entweder aus Hannover, Berlin oder Brüssel geregelt werden soll, was beispielsweise in Kroge-Ehrendorf, wo ich herkomme, in der Pflege passiert, ist etwas, das nicht funktioniert.“ Als Beispiel nennt er ein Budget für Marketing, das eigentlich nicht vorgesehen sei – bis vielleicht in der Landeshauptstadt ein Förderprogramm aufgelegt wird, das dann aber vermutlich nach zwei Jahren nicht weiterfinanziert werden kann und deshalb verpuffen werde. „Ich glaube da ganz fest an das Subsidiaritätsprinzip“, sagt Zerhusen, der sich kommunalpolitisch bei der CDU engagiert.
Im Jahr 2011 hat Zerhusen als Quereinsteiger das Pflegeunternehmen seiner Familie übernommen, nachdem seine Mutter eine Krebsdiagnose ereilt hatte. Zuvor ist der studierte Diplom-Betriebswirt zehn Jahre in der internationalen Automobil-Zulieferindustrie tätig gewesen. Diese Vorerfahrungen lassen ihn seither mit anderen Augen auf die Probleme der Pflege blicken. Seiner Ansicht nach werde vonseiten der Pflegebeschäftigten selbst zu schlecht über ihre Tätigkeit gesprochen. Beim Werben um neue Fachkräfte sei das aber nicht hilfreich, meint Zerhusen.
„Was du kommunizierst, strahlst du aus. Was du ausstrahlst, ziehst du an.“
Um die Rahmenbedingungen zu verbessern, müsse sich erst im Kern etwas verändern, sagt er und erinnert an eine Regel aus dem Marketing: „Was du kommunizierst, strahlst du aus. Was du ausstrahlst, ziehst du an.“ Die Pflege aber habe ein miserables Image und genau daran müsse dringend gearbeitet werden, meint Zerhusen. Das sei aber nicht die Aufgabe der Politik. Vielmehr müsse die Pflegebranche selbst die Leuchttürme sichtbar machen und auch darüber sprechen, wo es gut läuft. „Nur dann entsteht auch ein gewisses anderes Image. Jede Branche ist da Lichtjahre weiter, weil sie weiß: Image ist ein Produkt, das wir selbst steuern können. Aber wir können in der Pflege nicht darauf warten, dass jemand anderes kommt und das für uns macht. Sondern die schönen Geschichten müssen wir schon selbst erzählen.“ Aus diesem Grund hat er vor einigen Jahren mit einer Kollegin zusammen die erste Werbeagentur explizit für die Pflegebranche gegründet.
Damit wolle er auch gegensteuern, wenn noch immer viel zu unvorsichtig kommuniziert werde. Wichtig sei es, „über die Werte zu sprechen, und sich nicht auf Strümpfeanziehen oder Duschen reduzieren zu lassen.“ Die Geschichte, die er erzählen will, sei eine „Geschichte von Würde, von Wertschätzung, von Liebe, von Menschlichkeit.“ Auf seiner Vorprägung aus der Automobilwirtschaft spricht Zerhusen auch von guter Pflege als Statussymbol. „Oft ist es ja so, dass ein Mensch, wenn er beispielsweise eine Demenzdiagnose bekommt, von heute auf morgen im Status gesellschaftlich absinkt. Da gibt es Richter, Journalisten, Unternehmer, die in unserem irdischen Dasein irgendwann diese Diagnose ereilt.“ Ihm sei es dann wichtig, ein Versprechen abzugeben: „Du wirst deinen Wert und deinen Status als Mensch genauso behalten, wie du das vorher hattest – auch wenn man am Ende in Embryonalstellung im Bett liegt.“
„Das Allerteuerste ist, nichts zu tun.“
Die Vorstellung, mit der Pflege gäbe man als Betroffener Autonomie ab, wolle er in Frage stellen. „Ich würde sagen: Das Gegenteil ist richtig. Mit einer guten Dienstleistung an der Seite kann ich selbstständig so lange sein, bis ich eines Tages versterbe.“ Nach den Kosten für eine solide Marketingstrategie gefragt, rechnet der Betriebswirt vor: Schafft es ein Einrichtungsleiter nicht, ausreichend Personal zu gewinnen, kann dieser keine Zimmer belegen oder muss womöglich teurere Leiharbeiter dazukaufen. Fünf Leiharbeiter und fünf nicht belegte Zimmer verursachten allerdings schnell Zusatzkosten in Höhe von 50.000 Euro monatlich, erläutert Zerhusen und fragt: Und dann sollen keine 5000 Euro im Jahr für Marketing da sein? „Das Allerteuerste ist, nichts zu tun.“
Dieser Artikel erschien am 02.04.2024 in der Ausgabe #060.
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