Passgenaue Lehrangebote für Schüler? Die Datenschützerin sieht darin ein Problem
Die scheidende Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel, die am 30. Juni ihr Amt abgibt, hat in ihrem letzten Tätigkeitsbericht mehrere Mängel aufgelistet. Sie hatte 2022 unter anderem 50 Schulen überprüft und ist dabei in sechs Fällen auf die Verwendung von „intelligenten Tutor-Systemen“ gestoßen: Diese erfassen das Lernverhalten und die spezifischen Lernschwächen jedes Schülers – und ziehen daraus automatisiert Schlussfolgerungen für den jeweils individuellen Förderungsbedarf. „Das ist nicht unproblematisch“, sagte Thiel.
Zwar hätten die Entwickler erklärt, diese Verfahren seien datenschutzrechtlich nicht problematisch – „aber es ist unklar, ob eine eingehende Prüfung hier tatsächlich stattgefunden hat“. Auf jeden Fall werde eine Menge sehr persönlicher Daten der Schüler von einem automatischen System verarbeitet. Generell allerdings sei sie in allen überprüften Schulen auf eine große Kooperationsbereitschaft der Schulleitungen gestoßen. Wie schon in früheren Jahren, so stellte Thiel aber auch jetzt eine „fehlende Gesamtstrategie des Kultusministeriums zur Digitalisierung der Schulen“ fest.
Thiel ging in ihrem Bericht noch auf mehrere andere Mängel ein:
Rechenzentrum zur Telefonüberwachung
Im Innenausschuss des Landtags sagte Thiel, der seit 2011 geplante Aufbau eines gemeinsamen Rechen- und Dienstleistungszentrums für die Telefonüberwachung in den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sei „ein Drama“, da es erhebliche Verzögerungen gebe und der für 2020 geplante Starttermin längst überschritten sei. Dieses Zentrum solle in Hannover entstehen, und auch Thiel verknüpft damit die Hoffnung auf eine moderne und rechtssichere Datenverarbeitung.
In der gegenwärtigen Anlage, die das LKA in Hannover aufrecht halte, laufe der Betrieb „nur mit Mängeln und Rechtsverstößen“. Auf Details ging sie hier nicht ein. Bei einem Projekt zur Strafverfolgung bei Vergewaltigung, das vom LKA gemeinsam mit der Uni Kassel gestartet worden war, seien Datenschutzbestimmungen verletzt worden, es sei zur „Retraumatisierung der Opfer“ gekommen.
Kritik am Sozialministerium, Lob für Justizministerium
Dass die Datenschutzbeauftragte vor der Entwicklung des neuen Krankenhausgesetzes vom Sozialministerium nicht eingeschaltet worden sei, bezeichnete Thiel als Mangel. Gut hingegen sei die Kooperation gelaufen bei der Vorbereitung des Gesetzes über die Bestellung eines Opferschutz-Beauftragten.
Warnungen an 90 Banken
Bei einigen Genossenschaftsbanken ist die Datenschutzbeauftragte auf fragwürdige Systeme gestoßen: Es wurden Daten über den Zahlungsverkehr, die bevorzugten Kaufwünsche und das Verhalten im Wohnumfeld genutzt, um den betreffenden Bankkunden konkrete, individuell zugeschnittene Werbebotschaften zuzusenden – etwa zu Kreditverträgen oder zu Geldanlage-Chancen. „An 90 Genossenschaftsbanken habe ich daraufhin Warnungen verschickt“ sagte Thiel.
2060 Beschwerden im Jahr 2022
Thiel und ihre Mitarbeiter haben 2022 insgesamt 2060 Beschwerden entgegengenommen. Das reiche von Videoüberwachungen, die in Form und Umfang unzulässig und im Übrigen mangelhaft angekündigt worden seien, bis hin zu Hinweisen auf unzureichende Kennzeichnung von Datenverwendung. 51 Bußgeldbescheide habe sie verschickt, Bußgelder in Höhe von 2,2 Millionen Euro wurden eingenommen. Betroffen seien Unternehmen der Kreditwirtschaft, der Autoindustrie, der Textilindustrie, des Versandhandels und Unternehmen der Dienstleistungen.
Beauftragte geht gegen Berufung des Nachfolgers an
Vor dem Verwaltungsgericht Hannover hat Thiel einen Eil-Antrag eingereicht. Sie will die Berufung ihres Nachfolgers, des vom Landtag gewählten Ministerialdirigenten Denis Lehmkemper, verhindern. Thiel sagt zur Begründung, die Personalauswahl sei „nicht transparent geschehen“, obwohl die Datenschutzgrundverordnung das verlange. Das Gericht hat noch nicht entschieden. Thiel schließt auf Nachfragen nicht aus, bei einer Ausschreibung der Stelle sich selbst noch einmal dafür zu bewerben.
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Dieser Artikel erschien am 16.06.2023 in der Ausgabe #110.
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