In einem dramatischen Appell hat Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) am Donnerstag die Bevölkerung dazu aufgerufen, Verständnis für die aktuellen Sorgen vieler Landwirte aufzubringen. Vor dem Landtag erklärte sie, die neuen Ausbrüche von Covid19-Infektionen in zwei Schlachthöfen in den Kreisen Emsland und Cloppenburg hätten gravierende Folgen für die Schweinemastbetriebe in Niedersachsen. Auf einen Schlag würden 40 Prozent der Schlachtkapazitäten im Land wegfallen, wöchentlich könnten damit 120.000 Tiere nicht mehr getötet und verarbeitet werden. Auf Nachbarländer ausweichen könne man vermutlich nicht, da auch dort wegen der Corona-Bedingungen nur eingeschränkte Möglichkeiten bestünden.


Lesen Sie auch:

Agrarministerin wünscht sich in jedem Landkreis künftig einen Schlachthof


Dies führe dann zur Überfüllung in den Ställen und „zu massiven Tierschutzproblemen“. Sie hoffe nun, dass man dafür Verständnis aufbringen werde. Otte-Kinast stockte die Stimme, sie war den Tränen nah, als sie im Plenum berichtete: „Die Verzweiflung bei den Tierhaltern ist sehr groß, wie ich aus vielen persönlichen Gesprächen weiß. Ich wäre froh, wenn ich sagen könnte, dass das Schlimmste bereits überstanden ist. Das kann ich aber nicht. Bei mir rufen weinende Frauen und Männer an, die berichten, dass sie ihre Schweine vermutlich töten müssen, da kein Schlachthof die Tiere abnehmen will. Auf jeden Fall ist es jetzt an der Zeit, die Ferkelerzeugung zu drosseln.“

Ministerin: Ferkelerzeugung drosseln

Die Agrarministerin sagte, sie erwarte nun auch die Solidarität der Tierhalter. Schon seit Wochen sei klar, dass es wegen der Corona-Krise zu Engpässen in den Schlachtbetrieben komme. Insofern sei es für sie „schwer nachvollziehbar“, warum im vergangenen Monat noch mehr als 400.000 Mastferkel aus Dänemark und den Niederlanden in niedersächsischen Ställen aufgenommen worden seien, während gleichzeitig mehrere niedersächsische Sauenhalter keine Abnehmer für ihre Tiere mehr gefunden hätten.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Der CDU-Agrarpolitiker Helmut Dammann-Tamke ergänzte, die Tragik der Situation folge aus den Zeitabläufen: Jede Sau trage vier Monate bis zur Geburt der Ferkel, danach bleiben die Kleinen noch zwei Monate bei der Mutter, dann kommen sie für vier Monate in die Mastbetriebe. Das heiße, wenn man jetzt die Besamung der Muttertiere einstelle, habe man frühestens in zehn Monaten die Resultate. Bis dahin müsse das Land jetzt mit sehr vielen Schweinen in beengten Ställen zurechtkommen.

Otte-Kinast will in den verbliebenen Schlachthöfen die Arbeit am Wochenende und spätabends erlauben, um den Überhang abzubauen. Karin Logemann (SPD) und Hermann Grupe (FDP) forderten in der schwierigen Lage zur Solidarität mit den betroffenen Landwirten auf. „Soll man gesunde Tiere jetzt keulen? Ich weiß es auch nicht“, betonte Grupe.

Staudte: Regierung hat versagt

Die Grünen-Agrarexpertin Miriam Staudte erklärte, die Landesregierung habe „auf ganzer Linie versagt“, da auch die beengte Raumsituation in den Unterkünften der Schlachthof-Werkvertragsarbeiter immer noch nicht abgestellt worden sei. Dort verstärke sich das Corona-Ansteckungsrisiko. Immer wieder forderten die Grünen eine Abkehr von Massentierhaltung, vor drei Jahren schon habe man verlangt, die Exportorientierung der Schweinehaltung zu beenden. Geschehen sei aber nichts, fügte Staudte hinzu.

https://www.instagram.com/p/CF9oknopsiX/?utm_source=ig_embed

Dammann-Tamke entgegnete, die Rückschlüsse der Grünen seien falsch, denn die Covid19-Infektionen in Schlachthöfen hingen mit der kalten und feuchten Luft in den Schlachtbetrieben zusammen, in der das Virus sich gut verbreite, weniger aber mit der Situation in den Wohnheimen der Werkarbeiter. Der Hinweis von Staudte auf eine angeblich zu starke Exportorientierung der niedersächsischen Schweinehalter ist aus Sicht des CDU-Politikers „einfach nur zynisch“. Im Vergleich zu Dänemark und den Niederlanden sei der Selbstversorgungsgrad der deutschen Tierhalter mit 120 Prozent viel geringer, das deutsche Fleisch sei aber auf den Exportmärkten so begehrt, dass ein Drittel der Menge ins Ausland verkauft werde.