Darum geht es: Rot-Grün will das Polizeigesetz ändern und den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ streichen. Er sei sowieso überflüssig gewesen, heißt es. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum:

Eine gründliche Analyse würde vielleicht, wenn man sie anstellte, Überraschendes zutage fördern. Ob nun der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ im Polizeigesetz steht oder nicht – die Polizei wird wohl, im Großen und Ganzen, ähnlich wie bisher gegen aggressive Bettler oder übermäßigen Alkoholkonsum in bestimmten Stadtquartieren vorgehen können. Insofern wäre dem SPD-Abgeordneten Karsten Becker aus Stadthagen durchaus zuzustimmen, der gestern im Landtags-Innenausschuss sagte: „Zehn Jahre lang stand die ,Ordnung‘ nicht Gesetz, und mir ist nicht bekannt, dass es damals weniger Ordnung gegeben hätte.“

"Schon im Koalitionsvertrag von 2013 haben SPD und Grüne der „öffentlichen Ordnung“ den Kampf angesagt" - Foto: Gerhard Seybert

„Schon im Koalitionsvertrag von 2013 haben SPD und Grüne der „öffentlichen Ordnung“ den Kampf angesagt“ – Foto: Gerhard Seybert

Liegt Rot-Grün also richtig? Kann die „Ordnung“ getrost wieder aus dem Gesetz verschwinden? Zwei Einwände sind wichtig. Erstens haben gestern im Innenausschuss mehrere Polizeipraktiker und Kommunalvertreter erwähnt, dass der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ den Ordnungskräften jedenfalls ihre Tätigkeit enorm erleichtere. Das sei ein klarer Tatbestand, der schnelles Eingreifen ermöglicht. Wird der Gesetzestext nun geändert, so stiftet das Verwirrung – und die Polizisten wie die kommunalen Beamten müssen erst einmal überlegen, auf welcher Rechtsgrundlage sie agieren wollen. Das trägt zur Verunsicherung bei. Der Vertreter des Städtetages sagte gestern im Innenausschuss, dass künftig wohl auch viele Städte und Gemeinden überlegen werden, ob sie aus ihren Satzungen den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ wieder tilgen sollen – um sich dem Landesgesetz anzupassen. Eine Hypothese sei gewagt: Wenn Rot-Grün seinen Plan wahr macht und das Polizeigesetz hier ändert, gibt es vielleicht auch nicht mehr Verstöße gegen die Ordnung als vorher, aber das Vorgehen dagegen wird für die Hüter der Ordnung wesentlich umständlicher. Der SPD-Abgeordnete Becker würde also Recht behalten – aber um welchen Preis?

Zweitens ginge von der geplanten Reform eine Signalwirkung aus, und die ist ja durchaus gewollt. Schon im Koalitionsvertrag von 2013 haben SPD und Grüne der „öffentlichen Ordnung“ den Kampf angesagt. Warum eigentlich, wenn, wie die Koalitionäre sagen, die Streichung dieses Begriffs in der Praxis gar nichts ändern würde? Hier ist offenbar Ideologie im Spiel. Viele linke Politiker ordnen die Ordnung dem Obrigkeitsstaat zu, halten ihn für ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Sie müssen sich heute aber mehr denn je fragen lassen, ob sie es nicht sind, die für vergangene Zeiten stehen. Denn die deutsche Gesellschaft befindet sich im Wandel. Die Globalisierung, jahrelang als Segen für die Wirtschaft betrachtet, weckt immer stärker auch Ängste und Befürchtungen. Und es gibt politische Gruppen auf der rechten Seite, die solche Ängste ausnutzen. Hinzu kommen die Nachrichten etwa über die steigende Zahl von Wohnungseinbrüchen. Die realen Gefahren, die sich gar nicht so sehr gegenüber den vergangenen Jahren verändert haben, sind nur das eine. Die Sorgen und Nöte der Menschen, die sichtbar stark gewachsen sind, stehen auf der anderen Seite. Wie wirkt es auf die Leute, wenn eine Landesregierung in solchen Zeiten beschließt, sich nicht mehr „der öffentlichen Ordnung“ verpflichtet fühlen zu wollen?

Bis das neue Polizeigesetz beschlossen wird, vergehen noch einige Monate. Zeit für Rot-Grün, auch bei diesem Passus noch einmal in sich zu gehen. Bei den „anlasslosen Kontrollen“ hat es ja schon eine Wende gegeben. Das muss nicht die letzte bleiben.

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