„Ohne Fraktion bist Du nichts…“
Im vergangenen Jahr ist die AfD-Landtagsfraktion, die knapp drei Jahre lang stabil geblieben war, an internen Querelen zerbrochen: Auf der einen Seite waren sechs Politiker, die der AfD ihre Treue zeigen, auf der anderen drei, die sich inzwischen von der Partei abgewendet haben (oder aber, wie im Fall von Stefan Wirtz, als AfD-Mitglied eine Sonderrolle einnehmen).
Was sie alle vereint, ist allerdings Frustration: Sie müssen erkennen, dass die Regeln in Niedersachsen alles andere als freundlich sind gegenüber denen, die ohne eine Fraktion im politischen Geschäft bestehen wollen. Und eine Fraktion, soviel ist seit 2017 laut Landtags-Geschäftsordnung klar, braucht mindestens ein Fünftel der Abgeordneten – und das wären sieben Abgeordnete. Davon sind beide Hälften allerdings ein Stückweit entfernt.
So erlebt der Landtag nun seit einigen Monaten ein merkwürdiges Bild: Zehn Abgeordnete, nämlich neun der früheren AfD-Fraktion und der inzwischen aus der SPD ausgeschlossene Jochen Beekhuis (Aurich), sitzen auf ihren Plätzen in den letzten Reihen des Landtags – und sie fallen kaum auf. Zwar haben fraktionslose Abgeordnete das Recht, sich in den Plenardebatten zu Wort zu melden. Die Redezeit ist dann meistens sehr knapp bemessen, häufig nur anderthalb Minuten. Nun haben mehrere von ihnen dieses Recht in den jüngsten Plenarsitzungen so ausführlich genutzt, dass beinahe der Eindruck entstand, sie wären jetzt präsenter als noch zu Zeiten ihrer bestehenden Fraktion.
Aber das gilt eben nur in wenigen Momenten der parlamentarischen Arbeit, nämlich in den zentralen Debatten der Plenarsitzungen, die regulär einmal monatlich für zwei oder drei Tage stattfinden. Alles, was an parlamentarischer Arbeit darüber hinausgeht, ist von einer massiven Ungleichbehandlung geprägt: Wer einer Fraktion angehört, kann in der Regel auf einen Stab an Fachleuten und Referenten zurückgreifen, die inhaltliche Zuarbeit leisten, für Anfragen recherchieren, für Gesetzentwürfe und Entschließungsanträge die nötigen Fakten zusammensuchen.
Dafür bezahlt der Staat den Fraktionen kräftige Zuschüsse in Höhe von mindestens 50.000 Euro monatlich. Größere Fraktionen bekommen deshalb mehr, weil es Pro-Kopf-Beträge gibt – die Oppositionsfraktionen deshalb, weil sie Anspruch auf einen Oppositionszuschuss haben. Nur die Fraktionslosen, die gehen leer aus. Landesverfassung und Geschäftsordnung sehen für sie nichts vor, es bleiben nur die Diäten und Aufwandsentschädigungen für jeden einzelnen Mandatsträger.
In Bremen sind Gruppen möglich
Das muss nicht so sein, wie der Blick in benachbarte Bundesländer zeigt. Dana Guth, einstige AfD-Fraktionsvorsitzende, und ihr Kollege Jens Ahrends haben sich inzwischen der Partei „Liberal-konservative Reformer“ (LKR) angeschlossen. Sie bilden gemeinsam mit dem AfD-Abgeordneten Stefan Wirtz eine Gruppe unter dem Namen „Konservative Demokraten“. Die anderen sechs AfD-Abgeordneten der alten Fraktion haben sich ebenso zu einer Gruppe zusammengetan. Doch weil Landesverfassung und Geschäftsordnung des Landtags in Niedersachsen keine „Gruppen“ kennen, werden diese Kooperationen nicht belohnt – sie können weder Anträge stellen, noch ihre Redezeiten im Parlament bündeln, geschweige denn Mitarbeiter beschäftigen.
In Bremen ist die Lage anders, wie der einstige AfD-Abgeordnete Peter Buck, der jetzt bei der LKR ist, berichtet: Die Mindestgröße für Fraktionen liege in Bremen bei fünf Abgeordneten, die für Gruppen bei drei Abgeordneten – und drei einstige AfD-Abgeordnete nutzen das auch, ihnen steht auch ein Budget von 28.000 Euro monatlich bereit. Im Bundestag, berichtete der dortige Abgeordnete Mario Mieruch, können fraktionslose Abgeordnete immerhin zwischen der zweiten und dritten Lesung eines Gesetzentwurfes Änderungsanträge stellen – also die Umgestaltung von Initiativen anderer parlamentarischer Kräfte bewirken.
In Schleswig-Holstein, sagt der frühere AfD- und jetzige LKR-Abgeordnete Frank Brodehl, sind die Regeln für fraktionslose Mandatsträger sehr großzügig. Sie haben im Landtag Antragsrecht, auch zu Gesetzentwürfen. Für Gruppen im Landtag reichen in Schleswig-Holstein drei Abgeordnete – und mehrere der AfD angehörende Abgeordnete haben sich in Kiel auch auf diese Weise zusammengefunden, sie kassieren dafür auch finanzielle Unterstützung des Landes.
Als einzelner Abgeordneter ist man in Niedersachsen ohne eine Fraktion aufgeschmissen.
Werden fraktionslose Abgeordnete in Niedersachsen mit Blick auf die Bestimmungen in den Nachbarländern benachteiligt? „Als einzelner Abgeordneter ist man in Niedersachsen ohne eine Fraktion aufgeschmissen“, sagt Guth. Sie überlege, ob man „dagegen den Klageweg gehen sollte“. Denkbar wäre eine Organklage, die jeder Abgeordneter beim Staatsgerichtshof in Bückeburg einreichen könnte.
Einen Anknüpfungspunkt dafür gäbe es: In Artikel 19, Absatz 2 der Landesverfassung heißt es: „Die Fraktionen und die Mitglieder des Landtages, die die Landesregierung nicht stützen, haben das Recht auf Chancengleichheit im Parlament und Öffentlichkeit. Sie haben Anspruch auf die zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben erforderliche Ausstattung; das Nähere regelt ein Gesetz.“ Da in dieser Vorschrift neben den Fraktionen ausdrücklich auch noch einzelne Abgeordnete erwähnt werden und von Ausstattung die Rede ist, dürfte die Erfolgschance einer darauf beruhenden Klage nicht gering sein. (kw)