
Die niedersächsischen Verkehrsverbünde senden ein SOS nach Hannover: Wenn die zukünftige Landesregierung nicht viel mehr Geld in den öffentlichen Nahverkehr investiere, gebe es bei der Mobilitätswende demnächst eine Rolle rückwärts. „Falls es keine ausreichenden Mittel vom Land gibt, müssen wir bald darüber sprechen, das Angebot zurückzufahren. Das wäre eine Bankrotterklärung“, warnt Detlef Tanke, Vorsitzender des Regionalverbands Großraum Braunschweig. Für das Jahr 2023 beziffert er den Fehlbetrag bei der ÖPNV-Finanzierung im Verbandsgebiet, in dem jeder achte Niedersachse lebt, auf rund 50 Millionen Euro. Für das gesamte Bundesland schätzt Tanke den Mehrbedarf auf 300 bis 400 Millionen Euro – allein um die Bestandsicherung des öffentlichen Nahverkehrs zu gewährleisten. „Eine Ausweitung des Angebots geht nur mit diesen Mitteln plus X“, stellt der Verbandschef klar. Als Grund für die deutlich gestiegenen Kosten führt er vor allem die gestiegenen Energie- und Personalkosten, sowie die pandemiebedingten Einnahmeausfälle an.
"Wir können und wollen die Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV. Aber das ist vom Land alles nicht durchfinanziert."
Nicht nur im Osten des Landes ist die Lage ernst. „Unser Alltag ist momentan die Rettung des Ist-Zustands“, sagt Michael Frömming, Geschäftsführer des Zweckverbands Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen (ZVSN) mit den Landkreisen Holzminden, Göttingen und Northeim. Das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel, bis zum Jahr 2030 die Fahrgastzahlen im ÖPNV zu verdoppeln, sei unter den aktuellen Voraussetzungen nicht zu erreichen. „Wir können und wollen das zwar auch als Branche. Aber das ist vom Land alles nicht durchfinanziert. Es gibt zu viele Störfaktoren, um das Angebot zu verbessern“, sagt Frömming. Auch Doreen Fragel (parteilos), Vorsitzende der ZVSN-Verbandsversammlung, mahnt zur Eile. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Busunternehmen weiterhin liquide sind und am Markt bleiben“, sagt Göttingens Erste Kreisrätin.

Bereits kurz nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine habe ihr Verband ausgerechnet, dass der extreme Anstieg der Dieselpreise auf lange Sicht nicht ohne Hilfe vom Staat gestemmt werden könne. „Wir werden jedoch seit Monaten aus Hannover vertröstet. Wir laufen in eine Finanzierungslücke und haben das Gefühl, dass niemand unsere Rufe hört“, sagt Fragel. Den Kommunen seien bei der Rettung der Busunternehmen, die mit dem Linienverkehr oder der Schülerbeförderung beauftragt wurden, sowohl aus finanziellen wie auch aus wettbewerbstechnischen Gründen die Hände gebunden. Frömming warnt: „Wenn die ersten Unternehmen pleitegehen, kommt es zu einer sogenannten Notvergabe. Das wird für die Kommunen nochmal teurer.“ Der Helmstedter Landrat Gerhard Radeck hat bereits die ersten Ausfallerscheinungen beobachtet. Schon jetzt würden vereinzelt Fahrten ausfallen und einzelne Linien schon nicht mehr bedient. In einem Fall sei sogar eine Schulbuslinie ersatzlos gestrichen worden. „Was nützt mir ein 49-Euro-Ticket, wenn im ländlichen Bereich kein Bus fährt?“, fragt der CDU-Politiker.
Der Braunschweiger Oberbürgermeister Thorsten Kornblum (SPD) weist auf ein anderes Problem hin: „Wir brauchen die Mobilitätswende, sonst erreichen wir die Klimaziele nicht.“ Vom Land fordert er deswegen schnellstmöglich das versprochene 1-Milliarde-Euro-Hilfspaket, um die Verkehrsunternehmen zu entlasten. Vom Bund erwartet Kornblum neben dem Entlastungspaket III auch eine Erhöhung der sogenannten Regionalisierungsmittel. Zudem kritisiert er, dass sich das Land Niedersachsen bei der Verteilung der Bundesmittel selbst „einen Schluck aus der Pulle“ gönne. „Es gibt auch Bundesländer, die diese Mittel komplett weiterleiten“, merkt Kornblum an. Beim Regionalverband Großraum Braunschweig stellt das Geld aus Berlin mit 125 Millionen Euro pro Jahr die größte Säule der ÖPNV-Finanzierung dar, die für 2022 mit insgesamt 325 Millionen Euro veranschlagt wird.

„Es ist aber nicht einfach damit getan, die Regionalisierungsmittel zu erhöhen“, ergänzt Verbandsdirektor Ralf Sygusch. Bei der Finanzierung des Busverkehrs spiele diese kaum eine Rolle, es werde fast völlig für den Schienenverkehr benötigt. „Der Bus finanziert sich auf Dauer nur über die Kommunen“, sagt Sygusch. Für Landrat Radeck ist die Lösung deswegen klar: „Das Land Niedersachsen muss stärker in die Finanzierung des lokalen Bus- und Tramverkehrs einsteigen sowie für die Ausfinanzierung von vergünstigten Tickets sorgen.“ Damit meint Radeck auch das Azubi-Ticket, das es im Regionalverband Großraum Braunschweig und im Zweckverband Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen bereits gibt. Beide Verbünde finanzieren das Ticket bislang jedoch ganz allein aus der eigenen Tasche.