Darum geht es: Mithilfe eines Modellprojekts will die Landesregierung untersuchen, ob Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen sinnvoll ist. Die Opposition hält das für Geldverschwendung. Ein Kommentar von Isabel Christian.

Soll Tempo 30 auch auf Hauptstraßen eingeführt werden, unabhängig von konkreten Gefahrenstellen, zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen? Über dieses Thema wird geredet. In Berlin, in München, in Hamburg, in Stuttgart und eben auch in Hannover. In der Politik ist die Zahl der Befürworter so groß wie die der Gegner. Ebenso unterschiedlich sind die Ergebnisse der Studien zum Thema, wobei jene, die dem Tempo 30 auf Hauptverkehrsstrecken gar keinen bis einen negativen Effekt bescheinigen, tendenziell in der Mehrheit sind. Jetzt soll noch eine Studie dazukommen, die rot-grüne Landesregierung will in mehreren niedersächsischen Kommunen für drei Jahre Tempo 30 auf bestimmten Strecken einführen und die Ergebnisse messen. Das ist sinnvoll, denn für eine Diskussionsgrundlage braucht man Wissen. Und es genügt nicht, Ergebnisse von Studien aus anderen Städten zu übernehmen. Denn Oldenburg liegt nicht in einem Talkessel wie Stuttgart und durch Delmenhorst wälzen sich keine Automassen wie durch Berlin. Will die Niedersächsische Landespolitik die Frage „Tempo 30-Zonen ausweiten – Ja oder nein?“ endlich klären, muss sie auf eine eigene, umfassende Datenlage zurückgreifen können.

https://soundcloud.com/user-385595761/tempo-30-modellversuch-in-den-startlochern

In dem Modellprojekt will das Wirtschaftsministerium vor allem untersuchen lassen, wie sich die Temporeduzierung auf die Lärmbelastung, den Schadstoffausstoß und den Verkehrsfluss in verschiedenen Situationen auswirken. Gleichzeitig will das Ministerium wissen, ob die Autofahrer die Tempovorgabe akzeptieren, welche Folgen das für den Radverkehr, die Fußgänger und den Nahverkehr hat, und ob die Tempo-30-Zonen mithilfe von Schleichwegen umgangen werden. Mit der Untersuchung dieser Kriterien wird das Ministerium erfahren, wie die Lage in Niedersachsen ist. Doch das reicht nicht, die niedersächsische Studie soll ja nicht nur eine Nacherzählung dessen sein, was man in anderen Bundesländern schon weiß. Die Kriterien müssen noch darüber hinausgehen. Sonst wären die hohen Ausgaben von 700.000 Euro für die Studie nicht gerechtfertigt.

Lesen Sie auch:

 

In anderen Studien wird etwa oft empfohlen, statt Tempo 30 lieber die „Grüne Welle“ einzurichten, eine intelligente Ampelschaltung, mit der Autofahrer bei einer konstanten Geschwindigkeit selten stoppen müssen. Auch diese Alternative müsste Teil der Studie sein. Denn auch wenn Autofahrer bei der „Grünen Welle“ mit Tempo 50 schneller unterwegs sind als bei Tempo 30, so könnte Tempo 30 in Kombination mit der „Welle“ wiederum attraktiver für Autofahrer gegenüber der Tempo 50-Regelung ohne die Vorrangschaltung sein.

Ebenfalls positiv ist der Ansatz, dass der Versuch in mehreren Kommunen gleichzeitig geplant ist. Welche Städte und Gemeinden daran teilnehmen, wird sich erst in den kommenden Monaten entscheiden, doch die Ausgewählten sollen sich infrastrukturell unterscheiden. Das ermöglicht eine sehr feine Datenanalyse, unter welchen Voraussetzungen die Absenkung der Geschwindigkeit überhaupt sinnvoll und machbar ist. Denn nicht jede Maßnahme ist für jede Stadt und jeden Ort gleich gut geeignet. Während ein Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde auf der Durchgangsstraße in Höckelheim im Landkreis Northeim für den Verkehrsfluss schädlich wäre, könnte es auf der von zahlreichen Nebenstraßen gesäumten Durchgangsstraße durch das wenige Kilometer entfernte Moringen durchaus Sinn machen. Den Kommunen sind diese Unterschiede bewusst, das zeigt die Zahl der Interessenten. 14 Kommunen haben sich bereits als Testkandidaten ins Gespräch gebracht, obwohl die offizielle Bewerbungszeit erst im Juni beginnen soll. Dazu kommen Interessensbekundungen von sieben Bürgervereinen.

Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen muss nicht per se gut sein. Das Modell kann auch zu dem Schluss kommen, dass die Maßnahme unter allen Umständen sinnlos wäre. Doch selbst dann hätte sich die Untersuchung gelohnt, weil sie umfangreich belegen könnte, dass die Debatte für Niedersachsen in die „Erledigt“-Schublade gehört. Ergeben sich aber auch nur wenige Szenarien mit ganz bestimmten Voraussetzungen, unter denen die Geschwindigkeitsbegrenzung tatsächlich von Vorteil ist, so kann die Politik direkt zur Tat schreiten.

Mail an die Autorin dieses Kommentars