Ein heftiger Konflikt zwischen Landwirtschafts- und Umweltministerium in Hannover, der im Frühjahr beigelegt zu sein schien, bricht jetzt wieder auf. Es geht um die Natura-2000-Gebiete, die dringend nach Brüssel gemeldet werden müssen. Erst gestern teilte Umweltminister Olaf Lies (SPD) mit, dass er in Brüssel vorgetragen hat und davon ausgeht, dass die Frist nicht eingehalten werden kann. Bisher sind erst 172 der insgesamt 385 Areale an die EU gemeldet worden, mindestens 90 könnten vermutlich erst nach Jahresende den nötigen Schutzstatus bekommen. Die Zuständigkeit ist nun kompliziert, weil sich Niedersachsen für den Weg entscheiden hat, die Ausweisung der Gebiete den Landkreisen zu überlassen. Das führt in der Praxis immer wieder zu Reibereien, weil gerade Waldbesitzer behaupten, in einigen Landkreisen würden die Auflagen für den Naturschutz übertrieben und unangemessen scharf formuliert. Im Frühjahr war der Konflikt eskaliert, die SPD/CDU-Koalition verständigte sich damals auf einen Erlass, mit dem die Wünsche der Naturschützer im Umweltministerium und die Bedenken vor allem der Waldbesitzer weitgehend zum Einklang gebracht werden sollten – was weitgehend wohl auch geschah.


Lesen Sie auch:

Warum müssen jetzt die Wildvögel unter dem Koalitionskrach leiden?

Waldeigentümer: „Landkreise übertreiben es mit dem Naturschutz“

Natura-2000-Pläne erzeugen negative Schwingungen in der Koalition


Seit einigen Tagen allerdings stört ein neues Papier diese damals erzielte Verständigung. Das Umweltministerium und der ihm nachgeordnete Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz hat eine 14-seitige „Arbeitshilfe“ vorgelegt, die vor allem als Handreichung für die unteren Naturschutzbehörden der Landkreise dienen soll. Das geschah offenbar Mitte Juli. In einem internen Vermerk des Referates für Forstwirtschaft im Agrarministerium, der dem Politikjournal Rundblick vorliegt, wird nun heftige Kritik an der „Arbeitshilfe“ des Umweltministeriums geübt. Diese, so heißt es dort, lege den Erlass zur Unterschutzstellung „einseitig aus“ und „fordert die unteren Naturschutzbehörden dazu auf, möglichst weitgehende Beschränkungen in den Verordnungen festzulegen“. Der Mitarbeiter des Agrarministeriums kommt zu dem Schluss: „Dieses Vorgehen führt zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen der Waldbesitzer und zu einem erheblichen Bürokratieaufbau.“ In dem Papier wird weiter geäußert, dass die „Arbeitshilfe“ des Umweltministeriums „ohne Beteiligung des Landwirtschaftsministeriums“ erstellt und herausgegeben worden sei. Sie widerspreche in einigen Punkten dem zwischen beiden Ministerien abgestimmten Vorgehen bei der Sicherung der Natura-2000-Gebiete. Der Fachreferent des Agrarressorts verlangt deshalb intern die „sofortige Rücknahme“ der Handreichung aus dem Umweltministerium.

Im Haus von Minister Lies kann man die Aufregung nicht verstehen. Bei der Arbeitshilfe handele es sich doch lediglich um eine juristische Hilfestellung für die Kreisbehörden, nicht um eine neue Interpretation des geltenden Erlasses, erklärt eine Sprecherin gegenüber dem Politikjournal Rundblick. Die Verschärfung der Auflagen, die der Fachreferent des Agrarministeriums in einzelnen Passagen erkenne, gebe es gar nicht. Unterdessen erklärte gestern Lies selbst, dass man mit der Unterschutzstellung nun „Tempo machen“ müsse. Wegen der erwarteten Nichteinhaltung der Frist für sämtliche Gebiete drohe tatsächlich eine Strafzahlung der EU – und Lies sieht die Verantwortung dafür vor allem bei der schwarz-gelben Landesregierung, die zwischen 2008 und 2014 für diesen Bereich verantwortlich war, das war damals in erster Linie der inzwischen verstorbene Umweltminister Hans-Heinrich Sander. Der FDP-Agrarpolitiker Hermann Grupe warnte Lies davor, die Schutzgebiete jetzt „überhastet auszuweisen und die Rechte von Eigentümern und Pächtern zu verletzen“. Es dürfe „immer nur das mildeste Mittel zur Anwendung kommen“, meint Grupe. Marcus Bosse (SPD) warnte davor, mit Abwarten jetzt womöglich weitere Verzögerungen zu riskieren.