Neue Agentur soll angeschlagenen Automobil-Zulieferern aus der Krise helfen
Die Autobranche steht vor dem größten Strukturwandel ihrer Geschichte und gleichzeitig vor nie dagewesenen Problemen. Trotz Lieferengpässen, Energiekrise und erheblichen Kostensteigerungen in allen Bereichen müssen sich viele Zulieferbetriebe gerade jetzt neu und zukunftsfähig aufstellen. „Die Autoindustrie ist die tragende Säule dieses Landes, was Wertschöpfung und Beschäftigung betrifft“, sagte Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) am Dienstag und verwies auf 340.000 Jobs, die direkt oder indirekt von der Branche abhängen.
Dementsprechend groß ist seine Sorge, dass zahlreiche niedersächsische Betriebe in den kommenden Jahren auf der Strecke bleiben könnten. Doch eine neue „Transformationsagentur“ für Niedersachsen soll genau das verhindern. Wenn ein Unternehmen feststellt, dass sein bisheriges Geschäftsmodell wegbricht und das Auftragsvolumen zurückgeht, kann es sich bei der Agentur künftig Hilfe holen.
„Ein klassisches Beispiel: Ein Zulieferer stellt fest, dass er in der Produktionsreihe künftig nicht mehr vorkommt, weil der Automobilhersteller auf Elektromobilität umsteigt“, erläutert Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall. In einem solchen Fall zeigen künftig die Experten der Transformationsagentur ab sofort neue Wege und Geschäftsmodelle auf – etwa anhand von Best-Practice-Beispielen. Die Lösungsvorschläge können etwa das Leitbild oder aber auch das Geschäftsmodell des Unternehmens betreffen. „Über all dem steht das Ziel, die Wertschöpfung in Niedersachsen zu erhalten“, betonte Schmidt.
Das Land Niedersachsen wird die neue Transformationsagentur in den nächsten zwei Jahren mit jeweils 466.000 Euro finanzieren. Außerdem gibt es von 2022 bis 2024 eine Bundesförderung in Höhe von 186.000 Euro jährlich sowie pro Jahr 120.000 Euro vom Verein für Beschäftigungsförderung in der Metallindustrie. Geschäftsführerin der Agentur wird Irene Stroot, die in gleicher Funktion bereits bei der Demographieagentur tätig ist. Neben Stroot wird die neue Agentur noch vier weitere Mitarbeiter haben, die vor allem für Organisatorisches zuständig sind. Die eigentliche Beratung wird extern geleistet. „Wir holen namenhafte Experten dazu, die wir bezahlen müssen“, erläuterte Schmidt. Für die Betriebe ist das Angebot kostenlos. Thorsten Gröger, Bezirksvorsitzender der IG Metall Niedersachsen/Sachsen-Anhalt, betonte dabei die proaktive Rolle der neuen Agentur. „Wir wollen uns nicht ins Schaufenster stellen und warten, bis die Betriebe auf uns zukommen“, sagte Gröger. Im Aufsichtsrat der Transformationsagentur wird neben Schmidt, Althusmann und Gröger auch Umweltminister Olaf Lies (SPD) vertreten sein. Das Gremium tritt am Freitag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.
„Wir müssen uns Schritt für Schritt unabhängiger machen von ausländischen Zulieferern – aber auch von Ressourcen.“
„Eine Aufgabe der Transformationsagentur wird es sein, zu schauen, welche Wertschöpfungstiefe wir wieder in Deutschland erreichen können“, sagte Lies und kritisierte: „Wir haben uns bei bestimmten Dingen darauf verlassen, dass uns Ressourcen und Know-how aus dem Ausland ausreichend versorgen.“ Inzwischen könne man in Europa nicht einmal mehr eine Brandmeldeanlage verkaufen, ohne auf die IT- und Mikrochipkompetenz von außerhalb angewiesen zu sein. „Wir müssen uns Schritt für Schritt unabhängiger machen von ausländischen Zulieferern – aber auch von Ressourcen“, bestätigte Althusmann, der hier auch mit IG-Metall-Chef Gröger einer Meinung ist.
Umweltminister Lies erhofft sich durch die neue Transformationsagentur zudem einen Innovationsschub in Richtung Nachhaltigkeit. „Erfolgreiche Transformationskonzepte, die wir bereits in der Klimawirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette entwickelt haben und umsetzen, gilt es mit aller Kraft am Beispiel der E-Mobilität in die Automobil- und Zuliefererindustrie zu tragen“, so der SPD-Politiker. Für den Gewerkschafter Gröger steht bei der Transformationsagentur dagegen eher die Beschäftigungssicherung im Vordergrund. „Wenn die Unternehmen auf der Suche nach ihren Zukunftsaussichten sind, führt das auch zu Verunsicherung bei den Beschäftigten. Wir wollen dazu beitragen, dass beide Seiten zuversichtlich in die Zukunft blicken“, sagte der IG-Metall-Chef.
Dieser Artikel erschien am 24.08.2022 in der Ausgabe #145.
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