Nach der Krise ist vor der Krise
Es ist alles wie immer beim Landvolktag. Präsident Werner Hilse begrüßt die Ehrengäste und nennt dabei zunächst die ehemaligen Minister in Reihe eins des Sitzungssaals. „Herr Bartels, Heiner Ehlen und Herr Lindemann – ein ganz herzliches Willkommen.“ Erst nach einer Anekdote über ein Gruppenfoto bei der Grünen Woche wird auch der amtierende Minister Christian Meyer von den Grünen begrüßt, der zur Sicherheit erst gar nicht seinen grünen Pullover angezogen hat, den er sonst so gerne trägt. Man will ja nicht gleich zur Verstimmung beitragen.
Der Applaus ist dünn, als Meyer die Bühne in dem Tagungshotel im Süden Hannovers betritt. Auch nach fast vier Jahren als Landwirtschaftsminister in Niedersachsen traut das Landvolk Meyer immer noch nicht über den Weg. Natürlich machen wir uns Sorgen über die Preise und die Einkommen in der Landwirtschaft“, geht Meyer gleich zu Beginn rednerisch einen Schritt auf die rund 180 Delegierten zu. Er spricht von Milliardenverlusten in der Milchwirtschaft und kritisiert dennoch das 116 Millionen Euro schwere Hilfspaket des Bundes. Dabei sollen Bauern 0,36 Cent Zuschuss pro Liter Milch erhalten. 40.000 Betriebe sollen davon profitieren. „Ich hätte mir gewünscht, dass das Geld zielgerichteter verwendet wird und es wird auch nicht ausreichen, weil die Verluste viel höher sind. Wir werden aber nicht den Vermittlungsausschuss anrufen“, beschwichtigt der Grünen-Minister. Das Hilfspaket werde die Probleme nicht lösen, der Milchpreis sei noch lange nicht kostendeckend. „Nach der Krise ist vor der Krise“, so Meyer.
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Ein verdächtiger Versprecher unterläuft Meyer beim Thema Tierwohl. Meyer hält die geplante nationale Nutztierstrategie für eine gute Idee, weil Landwirte dadurch auch eine klare Planungssicherheit bekämen. Und dann passiert es: „Ich bin bereit, auf Tierwohl als Wahlkampfthema zu verzichten, wenn wir vorher einen grünen….einen nationalen Agrarkonsens hinbekommen.“ Auflachen im Publikum, ein „Haben wir es doch gewusst“-Effekt. „Das war jetzt ein schöner Versprecher“, sagt Meyer selbst.
Auch Applaus nach Meyers Rede bleibt kurz. Mehr Sympathie wird eindeutig den nachfolgenden Rednern entgegengebracht. Der CDU-Landrat aus dem Kreis Celle, Klaus Wiswe, und Hermann Onko Aeikens, ebenfalls CDU-Mitglied und Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium. Aeikins spricht vielen Delegierten zu Beginn seiner Rede aus der Seele. „Dieses Bauernbashing, das zur Zeit stattfindet, haben Sie nicht verdient.“ Und auch die Konsumenten bekommen ihr Fett weg: „Wir leisten uns die teuersten Küchen und kaufen dann die günstigsten Produkte ein, mit denen wir dann in den teuersten Küchen kochen“, wundert sich Aeikens hinter dem Rednerpult.
Zugleich gebe es immer weniger Wissen über Landwirtschaft. Die Menschen müssten stärker aufgeklärt werden. „Deshalb wird die Bundesanstalt für Landwirtschaft neu aufgestellt. Eine neue Sondereinheit soll den Verbrauchern ein realistisches Bild über moderne Landwirtschaft vermitteln“, kündigt Aeikens an. Viel Applaus erhält er natürlich auch, als er sich gegen eine Umverteilung von Mitteln aus der ersten Säule der gemeinsamen EU-Agrarpolitik (Direktzahlungen an die Landwirte) in die zweite Säule (Förderprogramme für nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung) ausspricht. „Das Geld vermehrt sich nicht, wenn es durch die Hände von Politikern und Beamten geht.“ So ein Satz ist immer für Applaus und Lacher gut.
Während Meyer seine Rede vor einem ständig tuschelnden, unruhigen Publikum hält, ist es bei Aeikens Rede mucksmäuschenstill. Er spricht die Sprache der Landwirte, aber er schont sie nicht. Unter Bezug auf die Milchkrise fordert er die Bauern auf, Produktionsprozesse zu optimieren und keine falschen Entscheidungen zu treffen (Wer mit 80 Kühen kein Geld verdient, verdient mit 160 Kühen erst recht kein Geld“). Eine Milchquote lehnt er ab: „Ich warne Neugierige, hier wieder auf einen starken Staat zu setzen.“ In der Diskussion um eine Düngeverordnung appelliert er an Parteien, Bundesländer und Verbände, einen Kompromiss zu finden. „Am schlechtesten wäre es, wenn Brüssel uns durch ein Urteil sagen würde, was wir tun müssen. Deshalb sind wir gefordert zu handeln“, so der Staatssekretär. Ansonsten könne es Milliarden kosten.
Aeikens sieht in einem staatlichen Tierwohllabel die Möglichkeit, gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. „Themen wie Tierwohl müssen wir bearbeiten, wenn Landwirtschaft gesellschaftliche Akzeptanz behalten soll“, schreibt er den Bauern ins Stammbuch. Zugleich führe so ein Label zu einem Wettbewerbsvorteil für die Produkte und es lande vielleicht mehr Geld von den Konsumenten in den landwirtschaftlichen Betrieben. Eckpunkte des freiwilligen Labels sollen Ende Januar auf der Grünen Woche vorgestellt werden.
Der Landrat aus Celle, Klaus Wiswe, wählt in seiner Rede dieselbe Taktik wie Aeikens – erst einmal die Branche loben. „Wertschätzung und Dank wird Ihnen in der heutigen Zeit zu wenig entgegengebracht“, sagt er zu Beginn. Und: „Je weiter die Leute wegwohnen, desto seltener kommt sachliche Kritik.“ Die verrückten Städter, kann man sich dazu denken, hier im Süden der Landeshauptstadt, wo man nie weiß wo Hannover aufhört und Laatzen anfängt. Aber auch hier ist nächste Bioladen für die Stadtbewohner nur fünf Minuten entfernt.
Wiswe berichtet, wie er in der Entstehungsphase eines riesigen Geflügelschlachthofs in Wietze nach einem Aufruf der selbsternannten Tierschützer von Peta fast 30.000 E-Mails bekam. Doch als er diese technisch einmal sortieren ließ, stellte Wiswe überrascht fest: Keine 20 kamen aus dem Landkreis Celle. Er schließt daraus: „Bei den Menschen vor Ort gab es eine große Akzeptanz.“
Akzeptanz – darum dreht es sich im Tagungssaal immer wieder an diesem Nachmittag. Wieviel Akzeptanz genießen Landwirte noch, gerade in den urbanen Zentren? Und wie können wir die Skeptiker überzeugen? Dabei geht auch mancher Satz daneben. Landvolk-Präsident Werner Hilse sagt an einer Stelle: „Glyphosat ist nun weiß Gott nicht das giftigste Mittel, das wir ausbringen.“ Mit der gewünschten Akzeptanz könnte es so beim einen oder anderen noch ein wenig länger dauern. (MB.)