Nach Blockaden: Wird den Bauern jetzt geholfen?
Die Gespräche seien zu Beginn „heftig“ gewesen, sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) gestern nach einem zweistündigen Spitzentreffen mit Vertretern von Landwirtschaft, Handel, Verarbeitern und Verbrauchern. Die gegenseitigen Vorwürfe hätten Konfrontation erwarten lassen. Seit Monaten schwelt der Konflikt zwischen den Landwirten auf der einen Seite, dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) auf der anderen und den Schlachtbetrieben oder Molkereien dazwischen. Der Preiskampf hat die Landwirte auf die Straße getrieben, mit Traktoren blockierten sie zuletzt immer wieder die Zufahrten zu Zentrallagern des LEH. Der gestrige Austausch sollte nun konkrete Ergebnisse liefern – und vor allem den Druck ein wenig herausnehmen. Althusmann war dabei Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU), die zu diesem zweiten Spitzentreffen geladen hatte, spontan beigesprungen – denn: „Landwirtschaft ist ja auch Wirtschaft“.
Für die angespannte Lage auf den Höfen zeigten die beiden Minister dabei viel Verständnis: „Die Landwirte stehen mit dem Rücken an der Wand“, sagte Otte-Kinast. „Seit zwei Jahren sind sie auf der Straße, der Frust und die Ängste sind groß.“ Eine Mitschuld erkennt sie auch bei der Politik, denn diese habe es mit immer neuen Vorgaben deutlich schwerer gemacht, mit landwirtschaftlicher Arbeit auch Geld zu verdienen. Althusmann fasste es so zusammen: „Die Erzeugerpreise decken die Erzeugerkosten nicht ab.“ Der Konflikt darüber entlade sich gerade und er erkenne eine gesellschaftliche und politische Verantwortung, über den Wert von Lebensmitteln neu zu verhandeln. Dabei habe die Corona-Pandemie die Bedeutung regionaler Produkte gestärkt, so der Wirtschaftsminister. Von Januar bis November 2020 habe der Lebensmittelhandel ein Plus von acht Prozent gemacht, er sei eindeutig ein Profiteur der Krise gewesen. Doch die Erzeuger fühlten sich unter Druck gesetzt und profitierten davon nicht. Schuld daran sei eindeutig die Macht der vier großen Lebensmittelketten, die 85 Prozent des Marktes unter sich aufteilen. „Der LEH profitiert von der hohen Qualität unserer landwirtschaftlichen Produkte“, sagte Althusmann und forderte, der LEH solle sich dem Preiskampf deshalb nicht hingeben.
Mit sieben Forderungen sind Althusmann und Otte-Kinast aus der Gesprächsrunde hinausgegangen. So soll beispielsweise eine transparente Lebensmittelkennzeichnung eingeführt werden, damit regionale Produkte besser erkannt werden. Althusmann schlägt dabei eine digitale Komponente vor, damit für den Verbraucher leichter ersichtlich wird, woher die Bestandteile eines Produktes stammen. Otte-Kinast setzt zusätzlich auf eine plakative Gestaltung der Verpackungen: Produkte aus Deutschland könnten eine schwarz-rot-goldene Kennung erhalten, niedersächsische Produkte alternativ oder zusätzlich das Landeswappen. Im Idealfall sollte diese Regelung EU-weit gelten. Die Werbung des Lebensmittelhandels soll zudem sofort dahingehend umgestellt werden, den Wert regionaler Produkte stärker zu betonen. Otte-Kinast verwies darauf, dass zudem auf EU-Ebene derzeit eine Tierwohlkennzeichnung geplant sei, die mit Hilfe des Einzelhandels auch jetzt schon umgesetzt werden könnte. „Die Unternehmen müssen nur wollen“, ließ sich die Ministerin in ihrer eigenen Pressemitteilung zitieren.
Aber was ist, wenn sie nicht wollen? Insgesamt wirkt das Ergebnis des Treffens ziemlich blass. Mit Spannung wurde die Gesprächsrunde mit fast 50 Teilnehmern erwartet, nachdem es Ende 2020 bereits eine erste Runde dieser Art gegeben hatte. Doch inhaltlich kam nicht viel Neues dabei herum als bei den Gesprächen zwischen der Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“ (LsV) und dem Handelsverband Lebensmittel im Dezember. Die Forderung nach einer einheitlichen Herkunftskennzeichnung befand sich damals genau so im Forderungskatalog wie die Idee einer Beschwerde- beziehungsweise Ombudsstelle oder eines Marketings, das Regionalität statt niedriger Preise bewirbt. Otte-Kinast und Althusmann ergänzen nun noch die Forderung nach einer „konsequenten Umsetzung“ der bundesgesetzlichen Regelung gegen unlautere Handelspraktiken und einer stärkeren Verbraucherbildung. Allein: Wer macht es? Wo bleiben die klaren Verpflichtungen?
Ministerin Otte-Kinast erklärte immerhin, dass nun alle Akteure mit am Tisch saßen, zum Beispiel auch die Molkereien oder das niedersächsische Landvolk. Bei den Gesprächen zwischen Handel und Demonstranten sei das eben anders gewesen. Althusmann betonte, das sei natürlich nur ein erster Aufschlag gewesen. Die Gespräche müssten nun weitergehen. Dem LEH bescheinigt der Wirtschaftsminister immerhin „Ernsthaftigkeit“ und „Gesprächsbereitschaft“. Konkreter wird die Politik an dieser Stelle allerdings nicht. Niedersachsens Minister warten stattdessen auf Entscheidungen in Berlin oder Brüssel oder auf der kommenden Agrarministerkonferenz. Von einem gesetzgeberischen Vorstoß fehlt jedoch jede Spur. Was bleibt, ist die formulierte Erwartung, dass sich Handel, Verbraucher und Landwirte nun einigen sollen. „Die müssen sich an einen Tisch setzen“, sagte Althusmann gestern, nachdem sie zwei Stunden an einem Tisch gesessen haben.
Von Niklas Kleinwächter