Mitarbeiter gehen Digitalisierung optimistisch an
Bedroht die Digitalisierung massenhaft Arbeitsplätze? Stehen die Mitarbeiter dadurch technischen Neuerungen skeptisch gegenüber? Wer sich das Zwischenergebnis einer Studie des Sozialogischen Forschungsinstituts Göttingen – kurz SOFI – näher anschaut, kommt zu einem gegenteiligen Ergebnis. SOFI-Direktor Martin Kuhlmann und sein Team schauen sich im Rahmen eines Projekts zur Arbeit 4.0 der AOK Niedersachsen in Betrieben um, sprechen mit Experten, führen Interviews, werten Fragebögen aus.
Ziel des über fünf Jahre laufenden AOK-Projekts ist es, herauszufinden, wie sich die digitale Arbeitswelt in unterschiedlichen Branchen auf die Gesundheit der Mitarbeiter auswirkt. Bisher waren die Forscher aus Göttingen in elf Unternehmen und haben sich insgesamt 25 Tätigkeitsbereiche genauer angesehen – von der Montagelinie im Industriebetrieb über die Pflege bis hin zum Versicherungs-Sachbearbeiter.
Festgestellt haben sie bisher eine große Offenheit für technische Neuerungen. In der Regel fühlten sich Arbeitnehmer weder kurz- noch langfristig durch die Digitalisierung bedroht, berichtete Kuhlmann auf einer Veranstaltung der AOK in Hannover. „Das ist keine Selbstberuhigung, sondern das ist die Erfahrung der Mitarbeiter mit den neuen Technologien“, so Kuhlmann.
Die Beschäftigten stellten fest, dass die eigene Kompetenz an vielen Stellen genauso wichtig sei wie neue Technologien. Das führe dazu, dass über zwei Drittel der Mitarbeiter technischen Neuerungen positiv gegenüberstünden. Ebenso viele Mitarbeiter hätten auch nicht die Sorge, dass sie technisch nicht mehr mithalten könnten. Mitarbeiter gingen davon aus, dass auch weiterhin Wissen über Software und IT nicht wichtiger sein werde als Fachwissen, und dass Erfahrungen im Beruf nach wie vor ihren Wert hätten.
Zugleich haben die Belegschaften aber auch Entwicklungen im Auge, die sich durch die Digitalisierung nachteilig auswirken könnten. So wird laut Kuhlmann immer wieder vor einer digitalen Spaltung der Belegschaft gewarnt. „Dabei geht es um die Kluft zwischen denjenigen, die mit den technischen Veränderungen mithalten wollen und denjenigen, die sich ein Stück weit auskoppeln. Es ist kein dramatisches Problem, aber es wird in den Betrieben beobachtet“, berichtet der Soziologe. Mitarbeiter nähmen auch wahr, dass ihre Arbeit duchschaubarer werde, weil durch die neuen Technologien eine genauere Überwachung der eigenen Leistung möglich sei.
Die Mehrheit befürchtet, dass der Zeitdruck zunimmt
Aktuell sehen den Zahlen zufolge die Beschäftigten mehrheitlich ihre Ansprüche an die Arbeit erfüllt. „Am positivsten gesehen werden die Bereiche Beschäftigungssicherheit, Kollegialität und feste Arbeitszeiten“, so Kuhlmann. Negativ bewertet werden aber immer wieder die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, der Anspruch auf einen gesunden Arbeitsplatz, und auch die Arbeitsbelastung wird häufig als zu hoch empfunden. „Durchschnittlich hat die Mehrheit der Beschäftigten nicht das Gefühl, einen gesunden Arbeitsplatz zu haben.“
Daran wird nach Meinung vieler Mitarbeiter auch die fortschreitende Digitalisierung nichts ändern. Rund die Hälfte geht davon aus, dass es weder positive noch negative Veränderungen in ihrem Betrieb geben wird. „Der Faktor Technik ist für sich genommen kein dominanter Faktor“, erläuterte Kuhlmann. Von denjenigen, die mit Veränderungen rechnen, sieht die große Mehrheit positive Veränderungen bei den Arbeitsergebnissen und weniger körperliche Belastungen. Die Mehrheit befürchtet allerdings auch, dass der eigene Entscheidungsspielraum kleiner wird und der Zeitdruck zunehmen wird.
Lesen Sie auch:
Von Estland lernen: Nur zwei Minuten für die Steuererklärung
Unternehmer würden gerne digitalisieren. Aber wie?
Der Zeitdruck ist auch insgesamt ein wichtiges Thema für die Mitarbeiter, einhergehend mit dem „Zwang zur Konzentration“. Dabei werden zum Beispiel Anlagen und Geräte, die durch eine Störung nicht funktionieren, als große Belastung wahrgenommen. Auch Lärm, Schmutz und das Klima am Arbeitsplatz – klassische Themen des betrieblichen Gesundheitsschutzes – werden häufig als Problem wahrgenommen. Für Kuhlmann wird daraus deutlich, dass es oft um Themen geht, die man schon lange aus Betrieben kennt und die nichts mit der Digitalisierung zu tun haben.
Das wird auch aus den Antworten auf die Frage deutlich, welche Maßnahmen Beschäftigte für die Gesundheitsförderung für sinnvoll halten. Besseres Klima, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und eine geringere Lautstärke sind dabei ganz oben auf der Wunschliste. Was sich Mitarbeiter dagegen gar nicht wünschen, sind Gesundheitszirkel oder ein Fitnessstudio im Betrieb. Für Unternehmen it das eine gute Nachricht. Der Kauf eines ergonomischen Bürostuhls ist schließlich auch viel günstiger als die Einrichtung eines ganzes Fitnessstudios. (MB.)