Ministerin Honè bittet Briten in Niedersachsen: Werdet Deutsche, so lange es noch geht!
Die niedersächsische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Birgit Honé (SPD), hat an die in diesem Bundesland lebenden Briten appelliert, möglichst schnell einen Antrag auf eine – zweite – deutsche Staatsbürgerschaft zu stellen. „Niemand weiß momentan, was geschehen wird, falls sich Großbritannien und die EU in den kommenden Wochen nicht auf einen Austrittsvertrag verständigen können. Möglich ist, dass dann die Briten in Deutschland auf den Status eines Drittlandes zurückfallen“, sagte Honé gestern vor Journalisten. Dies könne dann Konsequenzen haben beispielsweise für ihre Rechte als Arbeitnehmer. Die hier leben Briten könnten daher besser geschützt werden, wenn sie zugleich auch Deutsche sind. „Die Bearbeitung des Antrags dauert bis zu sechs Wochen“, fügte die SPD-Politikerin hinzu.
Die Debatte über die Art und Weise, wie Großbritannien zum 30. März 2019 aus der EU ausscheidet, befindet sich gerade in einer kritischen Phase. Zwischen der EU und der Regierung in London wird bisher erfolglos über einen Austrittsvertrag verhandelt, dessen Entwurf vorsieht, dass bis Jahresende 2020 zunächst an den bestehenden Regeln festgehalten wird – einschließlich Handelsfreiheit, EU-Arbeitsrechtsbestimmungen und Anerkennung der EU-weiten Rechts. Nach Einschätzung von Experten sind 85 Prozent der strittigen Punkte geklärt, es hakt aber an zwei Punkten, der Akzeptanz der Rechtsprechung des EU-Gerichtshofs und einer klaren Regelung für die EU-Außengrenze zwischen dem zu Großbritannien zählenden Nordirland und Irland. Von einer Verständigung auf diesem Gebiet hängt es ab, ob überhaupt ein Austrittsvertrag mit den Übergangsregeln bis Ende 2020 zustande kommt. Falls nicht, würde im März 2019 ein „harter Brexit“ zu wirken beginnen – nämlich das abrupte Ausscheren Großbritanniens aus der EU ohne jegliche Übergangsfristen.
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Strittig ist offenbar darüber hinaus, ob London langfristig (also über 2020 hinaus) die vier Grundprinzipien der EU anerkennen will – nämlich den freien Austausch von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Die nächsten Tage könnten dafür entscheidend sein, da auf dem Parteitag der britischen Konservativen ein Kräftemessen zwischen Hardlinern und Etwas-weniger-Hardlinern stattfindet. Honé ließ keinen Zweifel daran, dass sie eine neue Volksabstimmung in Großbritannien über den Verbleib in der EU für sinnvoll hielte, gleichwohl erkenne, wie weit entfernt diese Forderung gegenwärtig von der politische Debattenlage in Großbritannien ist – sowohl bei den Konservativen als auch bei der linken Labour-Partei. Es kann aus ihrer Sicht nicht sein, dass sich London „die Rosinen herauspickt“, also lediglich den Binnenmarkt sichern, aber die Arbeitsmarktfreiheit nicht länger akzeptieren will.
Für ein Schlüsseldatum hält die niedersächsische Ministerin den 18. Oktober, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs zusammenkommen und den EU-Sondergipfel Mitte November vorbereiten. Allmählich werde die Zeit knapp, da im Mai Europawahlen anstehen und ein Austrittsvertrag wohl nur noch bis Februar vom EU-Parlament ratifiziert werden könne. Sollte ein „harter Brexit“ eintreten, kommen nach Honés Vorstellungen „Notfallpläne“ zum Zuge – dabei gehe es um viele Detailregeln wie Anerkennung von Dokumenten und Führerscheinen, Regeln für den Gütertransport und den Flugverkehr. „Wir sind auf den schlechtesten Fall gut vorbereitet, auch wenn es zu Panik keinen Anlass gibt“, betont die Ministerin. Die niedersächsische Wirtschaft habe längst begonnen, sich auf einen möglichen Kreislauf ohne Großbritannien einzustellen – etwa bei den Autozulieferern, bei der Fischerei oder bei den Seehäfen. War das Land bisher Niedersachsens zweitwichtigster Handelspartner, so sei es inzwischen von Frankreich überholt worden. In Niedersachsen leben rund 9000 britische Staatsangehörige. Die Zahl der deutschen Einbürgerungen unter ihnen ist in den vergangenen Jahren steil gestiegen. Noch 2015 hatte man 63 Fälle registriert, sie stiegen auf 295 im Jahr 2016 und 672 im vergangenen Jahr.