50 Minuten lang hat Angela Merkel am Sonnabend vor den 400 Delegierten und Gästen des CDU-Landesparteitag gesprochen. War es eine Wahlkampfrede? Wohl weniger. War es die Bilanz der Kanzlerin über ihre aktuelle Politik? Wohl auch nicht. „Da ist jemand aufgetreten, der sich offenbar sehr wohl fühlt im Kreis der Niedersachsen-CDU“, sagt der CDU-Innenpolitiker Jens Nacke. Also habe sie ihren Gedanken freien Lauf gelassen – und wurde dabei fast philosophisch. Das war mehr grundsätzlich als politisch.

Der Digitalisierung aufgeschlossen gegenübertreten: Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hameln - Foto: MB.

Der Digitalisierung aufgeschlossen gegenübertreten: Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hameln – Foto: MB.

Es hat vor der Niedersachsen-CDU schon Merkel-Vorträge gegeben, die angestrengt wirkten, sie hat sich in früheren Jahren zuweilen genau an das Manuskript gehalten und alle Winkel ihrer Tagespolitik ausgeleuchtet, mit allen fachlichen Besonderheiten von Russlandkrise über Weltwirtschaftsforum bis Klimaschutzabkommen. Das war diesmal anders. Schon der Beginn zeigte eine entspannte, fast ausgelassene Kanzlerin. Sie sei ein wenig vor der Zeit in Hameln angekommen, habe aber „die Kreise hier nicht stören wollen“ und sei deshalb noch über den Weihnachtsmarkt gegangen, solange der Parteitag noch den neuen Spitzenkandidaten Bernd Althusmann kürte. Von Hameln, sagt Merkel später dann, sei sie „sehr angetan“. Dann redet sie über die Sage vom Hamelner Rattenfänger und die Tatsache, dass die Kolonialisierung des deutschen Ostens einst auch von Hameln ausgegangen sei –das Dorf Hammelspring in ihrer Heimat Uckermark sei wohl auf Hamelner Ursprünge zurückzuführen. Die Botschaft lautet: Merkel fühlt sich hier zuhause.

Ein Dank an David McAllister und ein dickes Lob für Althusmann schließen sich an, kurz auch ein Startsignal für den Wahlkampf: „Lassen Sie uns gemeinsam die Dinge stürmen, die zu stürmen sind.“ Danach geht es erst gerafft um die innere Sicherheit in Niedersachsen, wo Polizisten nach einem Einsatz ihre Pfefferspray-Patronen abwiegen lassen müssten. „Ein größeres Misstrauensvotum kann man Polizeibeamten nicht aussprechen.“ Dann streift Merkel die deutschen Verteidigungsausgaben, die weitaus niedriger seien als die der USA und deshalb erhöht werden müssten, wenn man die Sicherheitspartnerschaft ernst nehme. Doch die Kanzlerin hält sich dort nicht lange auf, sie landet dann rasch bei einem Thema, das sie offensichtlich sehr bewegt: die Digitalisierung.

Die Welt, sagt sie, werde sich drastisch verändern. Irgendwann würden selbstfahrende Autos zum Leben dazugehören, diese Geräte könnten dann „viel besser zwischen Wohnzimmercouch und Disco zum Einsatz kommen“. Künftig würden die Menschen höhere Versicherungsprämien zahlen müssen, wenn sie den Luxus nutzen wollten, sich noch selbst ans Steuer ihres Fahrzeugs zu setzen. Man brauche weniger Parkplätze – und habe weniger Unfälle. Die Digitalisierung habe zur Folge, dass alles transparent werde und der Datenschutz völlig neu definiert werden müsse. „Dann werden die Vertreter von Kassenärztlichen Vereinigungen auch erkennen können, wie viele Ärzte jemand aufgesucht hat, bevor er sich zu einer Behandlung entschließt.“ Viele wollten das nicht – und es müsse geklärt werden, wo die Grenzen des Datenschutzes gezogen werden sollen. „Ich möchte nur, dass wir all dem aufgeschlossen gegenübertreten“, sagt Merkel. „Wenn wir dem nicht mental positiv gegenüberstehen, wird Deutschland zurückfallen.“

So gerät Merkel ins Plaudern vor den CDU-Delegierten. Sie trägt anschaulich vor, vermeidet – anders als früher – schwierige Begriffe und Ausschweifungen in die Weltpolitik. Sie trägt souverän vor, weitgehend ohne Blick auf das Manuskript, speist auch einen Scherz ein, als sie mit dem Jahrestag des Leibniz-Gedenkens spielt: „300. Todestag und 370. Geburtstag – ist doch, richtig, oder?“ Zwar lässt die CDU-Vorsitzende wieder wenig Freiraum für Zwischen-Beifall, aber die Zuhörer in Hameln nehmen ihr das nicht übel. Zum Ende klatschen viele kräftig und langanhaltend. Obwohl Merkel die SPD mit keinem Wort erwähnte, die CSU, die AfD und Donald Trump auch nicht, obwohl die aktuelle Politik bei ihr an diesem Tag nur zweitrangig ist, kommt der Auftritt gut an. Oder deshalb, weil das alles so ist? Es war eben ein Heimbesuch. Der scheidende CDU-Landesvorsitzende McAllister verabschiedet sie mit warmen Worten: „Auch in Zeiten, in denen es nicht immer 100prozentig rund gelaufen ist, hat die Niedersachsen-CDU immer zu Dir gestanden, Angela. Das bleibt auch so.“ (kw)