Niedersachsens Verfassungsschutz bekommt nach fünf Jahren eine neue Führung: Gestern hat Innenminister Boris Pistorius (SPD) die bisherige Präsidentin Maren Brandenburger abgelöst. Die 50-jährige lässt sich auf eigenen Wunsch versetzen – sie wird zunächst auf eine freie Referatsleiterstelle im Innenministerium platziert und dann ins Sozialministerium abgeordnet. Dort soll sie demnächst ein Referat für Integrationspolitik leiten. Vorausgegangen war der V-Mann-Skandal, der Anfang der vergangenen Woche bekannt geworden war. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes hatten interne Unterlagen an ein Gericht gesandt, das über die Klage eines Bespitzelten auf Herausgabe von Informationen beraten hatte. Diese Unterlagen ließen Rückschlüsse auf den Tippgeber aus der linken Szene in Göttingen zu, und in der Folge veröffentlichte die „Basisdemokratische Linke“ die persönlichen Daten des V-Mannes, sie stellte ihn an den Pranger und feierte seine Enttarnung. Der Vorgang erschütterte das Vertrauen in das Landesamt. Ende vergangener Woche hatte Pistorius dann entschieden, den Juristen Prof. Jürgen Sucka aus dem Innenministerium mit der internen Überprüfung zu beauftragten. Diese brachte zum Ergebnis, dass es tatsächlich auch strukturelle Fehler gegeben habe. „Im Kern sind es individuelle Fehler gewesen, aber mitursächlich waren auch organisatorische Mängel in einem höchstsensiblen Bereich“, sagte Pistorius gestern in einer Pressekonferenz. Später fügte er hinzu: „Es gibt Grundsatzvermerke und Dienstanweisungen, die nicht in allen Punkten auf der Höhe der Zeit waren.“ Gegen Mitarbeiter, die unmittelbar an dem konkreten Vorgang beteiligt waren, werden mögliche Disziplinarverfahren geprüft.


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Am Montagabend hatten sich der Minister und die Verfassungsschutzpräsidentin länger unterhalten. Dabei soll Brandenburger selbst gebeten haben, sie von der B6-Position (Abteilungsleiter) in eine B2-Position (Referatsleiter) zu versetzen. Ein solcher Schritt des Wechsels von einem politischen Beamten in einen normalen Laufbahnbeamten ist mittlerweile auch ohne Umweg über den einstweiligen Ruhestand möglich. Das ist schon angewandt worden, als die früheren Polizeipräsidenten Axel Brockmann und Christian Grahl in die Ministerialverwaltung zurückgekehrt waren. Wer nun neuer Präsident des Verfassungsschutzes werden soll, ist noch nicht entschieden. Pistorius sagte, er wolle „den Blick möglichst weit öffnen“ und die Qualifikationen nicht vorher eingrenzen. Der CDU-Innenpolitiker Uwe Schünemann, der Brandenburger für ihren Schritt Respekt zollte, hält nach eigenen Worten „Erfahrungen im operativen Geschäft für sinnvoll“, was als Ratschlag für die Auswahl eines erfahrenen Polizeibeamten spräche. Pistorius nannte als nötige Charakteristiken „Führungs- und Verwaltungserfahrung und Fingerspitzengefühl“.

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In der anderthalbstündigen Sitzung des Landtagsausschusses für Verfassungsschutz sind nach Informationen des Rundblicks vor allem zwei gravierende organisatorische Mängel genannt worden: Seit Jahren schon werden Assessoren, die nur vorübergehend beim Verfassungsschutz arbeiten, mit der Zusammenstellung der sensiblen Unterlagen für die Verwaltungsgerichte betraut. Im Fall des enttarnten V-Manns wurde versäumt, dass der an diesem Tag zuständige Vize-Referatsleiter und der Fachbereichsleiter Linksextremismus die Akten noch einmal nachgeprüft haben, bevor sie an das Gericht gingen. Eine Grundsatz-Dienstanweisung von 2008, die solche Sechs-Augen-Kontrollen vorgibt, wurde wohl nicht im Intranet verbreitet, sondern nur in der Registratur abgelegt – also für die jeweils neuen Assessoren nicht so einfach einsehbar. Auch die Meldewege waren offenbar ein Problem, weil Verfassungsschutzpräsidentin und Minister erst mit mindestens einem Tag Zeitverzug von der Enttarnung erfahren hatten. Der Mängel-Bericht von Prof. Sucka soll 18 Seiten umfassen, die Fraktionen haben ihn angefordert – außerdem haben FDP und Grüne Einsicht in die internen Akten verlangt. FDP-Fraktionschef Stefan Birkner verzichtete gestern vorläufig darauf, über den Antrag seiner Fraktion zu einem Sonderermittler abstimmen zu lassen. Die Frage wird womöglich wieder aktuell, sobald die Opposition die bisher vorliegenden Unterlagen gelesen hat.