Links ist die neue Mitte
Darum geht es: Die niedersächsischen Grünen haben am Wochenende ihre Kandidaten für die Bundestagswahl gewählt. Spitzenkandidatin wurde die Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden aus Lüneburg. Ein Kommentar von Martin Brüning.
„Wir sind Mainstream. Führt diesen Wahlkampf aus der Mitte heraus.“ Das gab die scheidende Grünen-Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer den rund 180 Delegierten auf dem Parteitag in einem hannoverschen Hotel mit auf den Weg. Es waren die mahnenden Worte einer Realo-Grünen, die die breite Mehrheit im Saal allerdings nur halbwegs erreicht haben dürfte. Denn den Realo-Flügel gibt es bei den Grünen in Niedersachsen nicht mehr so richtig, das macht die aufgestellte Liste zur Bundestagswahl mehr als deutlich. Links ist die neue Mitte bei den Grünen, die breite Mitte. Auf den Plätzen eins bis fünf dominiert der linke Flügel der Landespartei, erst auf dem sechsten Platz kommt mit dem Landtagsabgeordneten Ottmar von Holtz ein Kandidat, der eher den Realos zugeordnet werden kann.
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Sieben Monate vor der Bundestagswahl gehen die Grünen nun in den Kampfmodus über, und in Hannover wurde dabei deutlich, dass es die rot-grüne Koalition in der nächsten Zeit kräftig durchschütteln könnte. Als Jürgen Trittin den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stephan Weil im Dieselskandal direkt attackierte, verfolgten das die Landesminister der Grünen in der ersten Reihe mit zusammengekniffenen Lippen. Dennoch ist es für die Grünen praktisch, dass im VW-Aufsichtsrat nur zwei Mitglieder der Landesregierung mit SPD-Parteibuch sitzen. Trittin nimmt mit seinem Angriff den Fehdehandschuh auf, den SPD-Kandidat Martin Schulz den anderen Parteien im aufkeimenden Wahlkampf hingeworfen hat. Warum sollte ausgerechnet nur die SPD für soziale Gerechtigkeit stehen? Das wollen die Grünen nicht hinnehmen und halten der SPD den Spiegel vor. In Berlin zu hohe Managergehälter kritisieren und im Aufsichtsrat in Wolfsburg zu mehr als fragwürdigen Millionenabfindungen und betriebseigenen Koi-Karpfenteichen schweigen – das will im Wahlkampf nicht einmal mehr der Koalitionspartner hinnehmen.
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Auch die Spitzenkandidatin Julia Verlinden wird für so manchen Sozialdemokraten zu einer Herausforderung werden. Sie kritisierte zu Recht, dass sich manche Abgeordneten zum Thema Fracking eine doch recht differenzierte Haltung erlauben – je nachdem, ob sie gerade in Berlin oder im heimischen Wahlkreis unterwegs sind. Und die klare Anti-Kohle-Haltung wird Gespräche mit der SPD und ihrem Spitzenkandidaten aus Nordrhein-Westfalen nach der Wahl nicht unbedingt erleichtern. „Wann wird uns Martin Schulz sagen, wofür er eigentlich inhaltlich steht?“, fragte Verlinden im Gespräch mit dem Rundblick forsch und machte allein damit deutlich, dass die Grünen die SPD im Wahlkampf nicht zu schonen gedenken.
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Mit ihrem Kurs tragen die Grünen in Niedersachsen möglicherweise dazu bei, dass der Wahlkampf unterhaltsamer und abwechslungsreicher werden könnte, als es das unspektakuläre Spitzenduo nach der Grünen-Urwahl im Bund bisher vermuten ließ. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob der Wahlkampf innerparteilich konfliktfrei ablaufen wird. Das links-bürgerliche Spitzenduo im Bund könnte andere Prioritäten sehen und setzen als das linke Spitzenduo aus Niedersachsen. Akzeptieren Polit-Haudegen wie Jürgen Trittin ein „Ober sticht unter-Prinzip“? Oder sind Konflikte mit den Realo-Spitzenkandidaten zu befürchten? Die nächsten Monate werden zeigen, wie es um die Disziplin der Grünen im Wahlkampf bestellt ist.