Lechner: „Das war keine Regierungserklärung, sondern ein Antrag auf Altersteilzeit“
Im Landtag hat es am Mittwoch, am zweiten Sitzungstag der 19. Wahlperiode, einen Vorgeschmack auf die veränderte Debattenlage gegeben. Erstmals nach fünf Jahren der Großen Koalition standen sich Christ- und Sozialdemokraten wieder als politische Gegner gegenüber. Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Sebastian Lechner, griff in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung den Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) frontal an.
Lechner sagte: „Wir wollen eine kraftvolle Opposition sein, verbindlich und anständig im Ton, aber hart und klar in der Sache – wie es sich für die einzig im Landtag verbliebene bürgerliche Kraft gehört.“ Der erste Auftritt von Weil nach seiner Wiederwahl im Parlament sei unzureichend gewesen: „Das war kein Aufbruch, nur Verwalten, das war kein Gestalten, das war viel zu wenig.“ Zum Schluss seiner Rede meinte der Oppositionsführer: „Wir werden Sie jeden Tag aufs Neue daran erinnern, welche Reformprojekte angepackt werden müssen. Ihre Politik reicht nicht. Das war keine Regierungserklärung, das war ein Antrag auf Altersteilzeit.“
CDU-Fraktionschef Lechner greift Koalition an
Lechner hatte kurz nach der für die CDU verlustreichen Landtagswahl die Führung der neuen, 47-köpfigen Landtagsfraktion übernommen. Der bisherige Fraktionschef Dirk Toepffer und der bisherige Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann sind jetzt einfache Abgeordnete und sitzen in der Mitte der CDU-Fraktion. Zu Beginn hatte Lechner erklärt, Teile der AfD würden „völlig zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet“, die CDU werde „niemals mit der AfD in der Opposition oder sonst irgendwo zusammenarbeiten“. Mit der rot-grünen Regierung sei eine konstruktive Kooperation geplant – das schließe deutliche Kritik aber mit ein. So seien die Regeln des Bundes für die Gaspreisbremse so lückenhaft und im Detail ungeklärt, dass das Land gefordert sei, in Richtung Berlin die Stimme zu erheben.
Den noch für November geplanten Nachtragsetat, der in einer Landtagssitzung am 30. November vorgestellt werden soll, werde von der CDU gründlich geprüft werden. „Wir schauen uns das sehr genau an und prüfen, ob die Ausgaben begründet sind oder ob sie nur Geld bunkern wollen für ihren verkorksten Koalitionsvertrag.“ Der CDU-Fraktionschef griff noch in anderen Teilen die neue Koalition an: Beim Ausbau der Windenergie bleibe die konkrete Frage, wie beispielsweise der Abstand zur Bebauung und zu Naturräumen sein soll, unbestimmt. Außerdem sei eine personelle Verstärkung der Planung in den Kommunen nötig. Beim Ausbau der Verkehrswege, der für eine Erholung der Wirtschaft unverzichtbar sei, sehe man bei Rot-Grün „überall nur Stoppschilder“.
„Die CDU wird niemals mit der AfD in der Opposition oder sonst irgendwo zusammenarbeiten.“
Lechner fragte mit Blick auf den zweiten VW-Aufsichtsratsposten: „Was um Gottes Willen soll das Kultusministerium als Beitrag für das Beteiligungsmanagement bei Volkswagen leisten?“ Die neue Regierung wolle „die Oberschulen zu Gesamtschulen schleifen“, die Einheitslehrerausbildung fördern und die Notengebung abschaffen. Ansätze zur digitalen Schule fehlten völlig – wie im Übrigen auch die nötige eigene Laufbahn für IT-Fachkräfte nicht im Koalitionsvertrag auftauche. Scharf rügte Lechner auch den Plan, einen N-Fonds für Investitionen aufzubauen. Wenn das dazu führe, dass „laufende Ausgaben des Landes ausgelagert werden, ohne dass der Fonds eigene Einnahmen erwirtschaftet, werden wir vor den Staatsgerichtshof ziehen“, kündigte der Oppositionsführer an.
SPD-Chef Tonne weist Vorwürfe der CDU zurück
Der neue Vorsitzende der SPD-Fraktion, Grant Hendrik Tonne, erwiderte auf Lechners Einwände. „Mich wundert, dass Sie nicht wissen, wie der N-Fonds aussieht – aber schon wissen, dass Sie dagegen klagen wollen.“ Der Aufbau der Landeswohnungsgesellschaft sei schon länger geplant gewesen, aber bisher „von der CDU blockiert worden“. Die Idee des Verzichts auf die Notengebung sei „nur eine Ermöglichung, keine Verpflichtung“, insofern stelle Lechner das falsch dar. Die Vorwürfe der CDU, die Berufung eines Polizeibeauftragten beweise Misstrauen gegenüber der Polizei, wies der SPD-Fraktionschef ebenfalls zurück: Im CDU-regierten Nordrhein-Westfalen gebe es eine solche Stelle schließlich auch.
„Mich wundert, dass Sie nicht wissen, wie der N-Fonds aussieht – aber schon wissen, dass Sie dagegen klagen wollen.“
Tonne betonte zur Kritik an Julia Hamburgs Funktion als künftiges VW-Aufsichtsratsmitglied, die Vertreter des Landes im VW-Aufsichtsrat würden sich für das Interesse des Unternehmens VW einsetzen – „darauf können wir fest vertrauen“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anne Kura bekannte sich für ihre Partei zur Bedeutung von Volkswagen: „Wir brauchen VW als guten Arbeitgeber, wenn die Transformation in der Autoindustrie gelingen soll. Daher unterstützen wir VW mit Julia Hamburg im Aufsichtsrat bei dieser Aufgabe.“ Kura nannte noch zwei Gesetzesvorhaben, die für die Grünen wichtig sind: Im Partizipations- und Teilhabegesetz soll geklärt werden, dass alle Menschen gleiche Rechte auf Beteiligung haben – und über ein Paritätsgesetz solle sichergestellt werden, dass der Frauenanteil in Parlamenten wächst.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Stefan Marzischewski-Drewes bot den anderen Fraktionen eine „ausgestreckte Hand“ an und betonte, die AfD sei bereit, „mit allen zu reden“. Zugleich griff er die anderen Parteien an. Die CDU sei „nur die Fata Morgana einer konservativen Partei“, während die AfD für die „wehrhafte Demokratie“ stehe und sich regelmäßig an Montagsdemonstrationen beteilige. Marzischewski-Drewes forderte den Ministerpräsidenten auf, die Corona-Schutzvorkehrungen in Altenheimen schleunigst aufzuheben – „denn damit sind wir international einzigartig“.
Dieser Artikel erschien am 10.11.2022 in der Ausgabe #199.
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