Was lange währt, wird nicht immer gut
Darum geht es: Im Sozialausschuss der Landtages haben zahlreiche Verbände zum Teil scharfe Kritik am Entwurf für ein neues Psychiatriegesetz geübt. Ein Kommentar von Martin Brüning.
„Fachliche Mängel“ kritisierte die Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege gestern an dem Gesetzentwurf. Diese und eine offenbar ungenügende Absprache mit allen Beteiligten führten im Ausschuss zu einer für Beobachter überraschenden Anhörung. Die Kritik am Entwurf war mannigfaltig und kam von nahezu allen Seiten. Die Politik bemüht gerne das Motto „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. In diesem Fall zeigt sich aber, dass, was lange währt, nicht automatisch gut wird. Die Beteiligten warten seit Jahren auf das nötige Gesetz. Schon die Regierung aus CDU und FDP hatte sich nicht gerade um Tempo bemüht. Der jetzt vorgestellte Entwurf ist nicht nur lieblos – er ist denjenigen gegenüber, die er fachlich betrifft, auch ein wenig respektlos.
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Jetzt wird die Zeit knapp. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst muss nun im Eilverfahren die Ungenauigkeiten auswetzen, die im Sozialministerium zu verantworten sind. Anschließend braucht es eine Einigung über die Punkte, die politisch diskutiert werden müssen. Dabei geht es zum Beispiel um die Rechte der Besuchskommission oder die Rechte der Patienten, die fixiert werden müssen. Es ist nach wie vor realistisch, dass der Entwurf noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Nachdem sich die Exekutive nun aber viel Zeit gelassen hat, muss nun die Legislative das Motto „Schnelligkeit und Gründlichkeit“ bemühen.
So mancher geäußerte Kritikpunkt erstaunte auch deshalb, weil er vermutlich relativ simpel bereits bei der Erarbeitung des Entwurfs hätte ausgeräumt werden können. So wollte man wohl mit der Regelung, dass der Sozialpsychiatrische Dienst nicht unbedingt von einem Facharzt mit abgeschlossener psychiatrischer Weiterbildung geleitet werden muss, den Kommunen einen Gefallen tun. Doch Lob kam dafür nicht einmal von der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände. Selbst ihnen ging das zu weit. Auch die Kritik der Landesarbeitsgemeinschaft Psychiatrieerfahrener in Niedersachsen, dass Vieles in Inhalt und Formulierung dem Maßregelvollzug entnommen sei, hätte vermutlich vermieden werden können.
Vielleicht ging es bisher auch deshalb so langsam voran, weil sich das Gesetz dem vordergründigen politischen Streit entzieht und ein Verschleppen hinter den Kulissen deshalb nicht weiter auffällt. Es geht um Patienten, die Hilfe brauchen – das hat bei allen parteiübergreifend Priorität. Eine politische Diskussion könnte noch bezüglich der Rechte der Besuchskommission bevorstehen. Abseits der Kritik privater Pflegeheimbetreiber, die die Besuchskommission am liebsten überhaupt nicht über die Türschwelle lassen würden, stellt sich hier die Frage nach den individuellen Rechten des Patienten. Vertreter der Besuchskommission stören sich daran, dass medizinische Unterlagen und Pflegedokumentationen nur mit schriftlicher Einwilligung des betroffenen Patienten vorgelegt werden dürfen. Sie sehen darin eine massive Einschränkung ihrer Arbeit. Wenn aber der Patient im Mittelpunkt steht, dürfen ihm diese Rechte nicht verwehrt werden. „Außerhalb unserer Krisen sind wir erwachsene, selbständige Bürger“, sagte gestern eine Vertretern des LAG Psychiatrieerfahrener. Der erwachsene, selbständige Bürger sollte selbst bestimmen dürfen, wer Einblick in seine Akten nehmen darf. Auch das ist eine Frage des Respekts.