Muss der Klimaschutz in Niedersachsen künftig bevorzugt werden, wenn er in Konflikt gerät beispielsweise mit dem Artenschutz oder der Bewahrung der Pflanzen- und Tierwelt? Solche Abwägungen könnten bevorstehen, wenn etwa zu Zwecken des Klimaschutzes ein Wasserkraftwerk mit großem Stausee entstehen soll, dafür aber ein Tal mit seltenen Insekten geflutet werden müsste. Für Juristen könnte sich hier eine Interessenskollision ergeben, sofern man dafür die Staatsziele in der Landesverfassung heranziehen will oder muss. Darauf haben Vertreter des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes (GBD), die sogenannten Landtagsjuristen, gestern im Rechtsausschuss des Landtags hingewiesen.


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In Artikel 1 der Landesverfassung heißt es nämlich schon, Niedersachsen sei ein „dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat“. Wie der GBD erläuterte, ist das Klima Teil dieser natürlichen Lebensgrundlagen – ebenso wie Boden, Luft, Wasser, Tier- und Pflanzenwelt. Der neue Plan der SPD/CDU-Koalition im Landtag besagt nun, dass ein neuer Artikel 6 c in die Verfassung aufgenommen wird. Dort soll es dann heißen: „In Verantwortung auch für die künftigen Generationen schützt das Land das Klima und mindert Folgen des Klimawandels.“

Hat Klimaschutz doppelten Vorrang?

Für Juristen spannend ist nun die Frage, was dieses Nebeneinander von Artikel 1 und dem geplanten neuen Artikel 6 c in der Praxis bedeuten soll. Es könne nämlich sein, so ein Vertreter des GBD gestern im Rechtsausschuss, dass die besondere Erwähnung bei den Staatszielen den Rang des Klimas in der Abwägung mit anderen Lebensgrundlagen stärkt und damit dazu zwingt, Belange des Klimaschutzes höher zu gewichten. Die Staatskanzlei habe allerdings mitgeteilt, so der Landtagsjurist, dass dies nicht gemeint sei, vielmehr gehe es ausschließlich darum, den Klimaschutz „sichtbarer“ zu machen.

Ein ähnliches Problem habe sich auch vor Jahren schon gezeigt, als im Landtag das Staatsziel „Arbeit und Wohnen“ in die Verfassung geschrieben wurde – auch dieses kollidiere nämlich, streng betrachtet, mit Artikel 1, in dem von Niedersachsen als „sozialem“ Rechtsstaat die Rede ist. Im Artikel 6 b der Landesverfassung wird im Übrigen betont, Tiere seien als Lebewesen besonders geschützt – auch hier also wird eine der natürlichen Lebensgrundlagen, die Tierwelt, herausgehoben.

Folgen oder negative Folgen abwenden?

Die Landtagsjuristen wollen nicht eindeutig beantworten, ob mit der Mehrfach-Nennung von Staatszielen, die dann jeweils besonders formuliert werden, in Konfliktfällen eine Über- oder Unterordnung einzelner Vorschriften verbunden sein könnte. Das dürfte dann, wenn jemand damit vor den Staatsgerichtshof ziehen sollte, dort spannende juristische Debatten auslösen. Auch in einigen anderen Punkten zeigt sich in der SPD/CDU-Koalition derzeit keine ausgeprägte Neigung, die Formulierungsvorschläge des GBD zu übernehmen.

Die Landtagsjuristen regen an, dass das Land sich nicht nur zur Minderung der „Folgen“ des Klimawandels verpflichten soll (wie bisher im als Formulierung geplant), sondern der „negativen Folgen“. Damit werde stärker ausgedrückt, dass man nicht mit Geldleistungen und Ausgleichszahlungen agieren wolle, sondern die Ursachen der Erderwärmung bremsen will. Außerdem hätten die Landtagsjuristen es für besser gehalten, die Zielrichtung der Politik noch deutlicher hervorzuheben, was etwa mit folgender Formulierung möglich wäre: „Das Land ergreift Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, um dessen negative Folgen zu mindern.“

Dazu jedoch hat sich die SPD/CDU-Koalition bislang nicht durchgerungen. Eine Vertreterin des GBD erklärte, viele der bisherigen Sätze im Gesetzentwurf der Koalition klängen wie unverbindliche politische Aussagen, nicht aber wie eine – idealerweise in einem Gesetz erforderliche – klare Regelung mit eindeutigem Adressaten und Handlungsauftrag.