Eine Schweigeminute zu Beginn und mehrere Reden – so wird zum Start der Landtagssitzung am Mittwoch deutlich, wie einmütig die Fraktionen auf den antisemitischen Anschlag Anfang Oktober im sachsen-anhaltinischen Halle reagieren. Mehrere Sprecher aller Parteien verurteilten die Tat und versicherten ihre Solidarität mit den jüdischen Menschen in Deutschland.

Sie zeigten sich allesamt betroffen. Aber sowohl in den Aussagen als auch in den Schwerpunktsetzungen wurden in der folgenden anderthalbstündigen Debatte gravierende Unterschiede deutlich – nicht nur zwischen der AfD auf der einen und allen anderen auf der anderen Seite.

Nach mehrfacher Aufforderung erklärte der AfD-Innenpolitiker Jens Ahrends: „Ich distanziere ich von allen Äußerungen irgendwelcher Mitglieder meiner Partei, die antisemitisch sind. Ich kann diese nicht teilen und verurteile sie auf das Schärfste.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Klaus Wichmann, betonte: „Ein Angriff auf die Juden in Deutschland ist ein Angriff auf uns alle.“ Wer den Anschlag in Halle parteipolitisch instrumentalisiere, etwa mit Blick auf die AfD, dem spreche er „die Ernsthaftigkeit ab“.

Es beschämt uns, dass es für Juden in Deutschland wieder gefährlich sein kann, ihren Glauben zu leben“, sagte Landtagspräsidentin Gabriele Andreta – Foto: MB.

Wichmann spielte damit an auf die aktuelle öffentliche Debatte über antisemitische Aussagen und Positionen von AfD-Politikern oder AfD-Anhängern in Internetforen an. In einer sehr nachdenklichen Rede ging Dirk Toepffer, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, auf die diese Diskussionen ein.

Es sei ein „Tiefpunkt des Parlaments“, wenn Mitglieder – er meinte die AfD – sich weigerten, die Verantwortung für die Verbrechen der Deutschen in der Nazi-Zeit zu übernehmen. Dass niedersächsische AfD-Abgeordnete einzeln integer seien, stehe auf der einen Seite. „Aber jeder Vertreter einer Partei ist mitverantwortlich für das, was andere Vertreter der Partei sagen.“

Toepffer beließ es indes nicht dabei, sondern wurde selbstkritisch: Der Anschlag in Halle zeige, dass viele Politiker – auch er selbst – dem hohen Anspruch, die jüdischen Gemeinden ausreichend zu schützen, nicht gerecht geworden seien. Hass, Intoleranz und Geschichtsvergessenheit hätten sich ausgebreitet. „Gewisse politische Bewegungen“ – wieder war wohl das AfD-Umfeld gemeint – hätten „zu den Ereignissen in Halle beigetragen“.

Aber, fügte der CDU-Fraktionschef hinzu, „es wäre falsch, das mit diesem Hinweis erklären zu wollen“. Manch eine politische Reaktion in dieser Debatte sei „zu reflexhaft, zu automatisch, um die, die wir erreichen wollen, zu beeindrucken“. Die Häme, mit der manche auf Lichterketten vor Synagogen und Moscheen reagierten, sei doch „Ausdruck einer als Hilflosigkeit wahrgenommenen Politik“, die unter der Last der Verantwortung die Dinge nicht mehr erklären könne oder auch wolle.

Grüne fordern harten und konsequenten Rechtsstaat

Ähnlich wie Toepffer argumentierten die anderen Fraktionsvorsitzenden. Johanne Modder (SPD) erklärte, in Halle habe kein verirrter Einzeltäter gehandelt, sondern jemand, der von rassistischen Netzwerken im Internet radikalisiert worden sei. Damit stelle sich auch die Frage nach den Umgangsformen im politischen Diskurs – bei der Arbeit, in der Kneipe und im Restaurant. Im Diskurs dürfe man „die demokratische Grenze nicht überschreiten“.

Mahnwachen und Solidaritätsbekundungen seien wichtig, betonte Anja Piel (Grüne), aber sie reichten nicht. Ein „harter und konsequenter Rechtsstaat“ sei notwendig. Stefan Birkner (FDP) forderte, das jüdische Leben „sichtbarer zu machen“ in Deutschland. Außerdem müsse man den „latenten Antisemitismus“ bekämpfen, der in allen politischen Gruppierungen, auch in der Mitte der Gesellschaft, vorhanden sei.

Ein wenig aus der Reihe fiel der Redebeitrag von Innenminister Boris Pistorius (SPD), der einen Großteil seiner Ausführungen nicht auf den Antisemitismus, sondern auf den „verstärkten Rechtsextremismus“ konzentrierte. Die AfD beteilige sich an der Entwicklung, ihre Distanzierungen seien nicht ernsthaft und die SPD habe mit Thilo Sarrazin zwar einen merkwürdigen Abweichler, die AfD jedoch „tausende“. Die AfD sei „scheinheilig“. Daraufhin ergriff der AfD-Politiker Ahrends das Wort und beschwerte sich über die „persönlichen Angriffe“ durch den Innenminister.


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Pistorius, meinte Ahrends, klammere den Antisemitismus von linker und von palästinensischer Seite gezielt aus. Aktuell würden israelfeindliche Politiker, etwa im Iran, von hohen politischen Repräsentanten in Deutschland „hofiert“. Judenfeindliches Verhalten werde toleriert, wenn etwa eine Fluglinie aus Kuwait keine Israelis befördern wolle und dies nicht unterbunden werde. „Sie sagen ,Nie wieder‘ und machen ein ,weiter so‘ daraus“, sagte Ahrends. Eine von der AfD beantragte Resolution, die als Solidaritätsadresse für die jüdischen Organisationen gedacht war, wurde anschließend von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Anschließend beschlossen SPD, CDU, FDP und Grüne eine andere Resolution, in der eine entschiedene Abwehr von Antisemitismus gefordert wird.