Der Landtag hat seine erste Plenarwoche im neuen Jahr mit einer sehr nachdenklichen Debatte begonnen. Zum Auftakt sprach der 83-jährige Holocaust-Überlebende Shaul Ladany, der als Kind in das Konzentrationslager Bergen-Belsen gekommen ist und nur durch glückliche Umstände überlebt hat. Ladany, der später in Israel als Sportler aktiv war und 1972 in München das palästinensische Attentat auf die israelische Olympiamannschaft miterleben musste, warb in seiner Ansprache für Versöhnung und Verständigung.

Man brauchte mehr als einen glücklichen Zufall, um den Holocaust zu überleben, sagte Shaul Ladany in seiner Ansprache – Foto: nkw

Im Anschluss diskutierte der Landtag über die Frage, ob die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt haben – und ob die Demokratie mehr als 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik gefestigt genug ist. Landtagspräsidentin Gabriele Andretta betonte, künftig werde es immer weniger Zeitzeugen geben, daher sei es umso wichtiger, gegen Geschichtsrevisionisten anzugehen, die die Vernichtung der Juden relativieren, die Ereignisse der NS-Zeit umdeuten oder durch Weglassen wichtiger Fakten verdrehen wollten.

Es kann nicht sein, dass die, die laut sind, die respektlos sind, die auf Ausgrenzung setzen, die Deutungshoheit in unserer Gesellschaft bekommen.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder erklärte, wer heute Minderheiten oder Andersdenkende angreife, „der greift uns alle an“. Daher sei es wichtig, solchen Tendenzen offen entgegenzutreten. „Wir, die Mehrheit der Gesellschaft, dürfen nicht länger schweigen. Es kann nicht sein, dass die, die laut sind, die respektlos sind, die auf Ausgrenzung setzen, die Deutungshoheit in unserer Gesellschaft bekommen.“ Der Staat müsse wehrhaft sein, denn „die Demokratie stirbt von unten, wenn es keine engagierten Demokraten mehr gibt“.

Jens Nacke, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, sieht Gefahren für die demokratische Ordnung: Als so selbstverständlich, wie er als Jugendlicher stets die freie Meinungsäußerung und den freien Diskurs in der Bundesrepublik angesehen habe, schätzte er diese Errungenschaften heute nicht mehr ein. Die Demokraten dürften nicht still bleiben, „wenn sich Kräfte breit machen wollen, die sowohl die Vergangenheit als auch die staatlichen Institutionen permanent in Frage stellen“. Kompromisse dürften nicht als Niederlage angesehen werden und politische Diskurse dürften nicht unverbindlich bleiben. Die Stärke des Systems, Fehler erkennen und dann auch nach Bekanntwerden korrigieren zu können, müsse wieder als großer Wert anerkannt werden.

Stefan Birkner (FDP) sagte, der wachsende Antisemitismus zeige, wie wenig selbstverständlich die religiöse Toleranz inzwischen sei. Anja Piel (Grüne) forderte, die Politik müsse endlich „alles in unserer Macht stehende tun, die von Diskriminierung betroffenen oder akut bedrohten Menschen besser zu schützen“.


Lesen Sie auch:

Antisemitismus-Beauftragter fordert: Wir müssen stärker an die NS-Geschichte erinnern

Andretta: Schutz jüdischen Lebens gehört zur Staatsräson Niedersachsens


Zu erheblicher Unruhe führte im Plenum der Beitrag von Klaus Wichmann (AfD). Antisemitismus, sagte er, gebe es nicht nur von rechts. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jüngst von der Judenfeindlichkeit gesprochen habe, die sich „als Israel-Kritik tarne“, habe er linksextremistischen Antisemitismus gemeint – und viele dieser Gruppen würden mit Grünen und Teilen der SPD kooperieren. Wichmann warf den anderen Fraktionen vor, sie blendeten solche Fälle aus, wollten unter dem Schlagwort „Kampf gegen rechts“ den Extremismusbegriff neu definieren und Konservative diskreditieren.

Von der linken Seite des Plenums wurde Wichmanns Rede mit Zwischenrufen wie „unmöglich“ und „eine Schande für dieses Haus“ quittiert. Ministerpräsident Stephan Weil hob hervor, der Holocaust sei das schlimmste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte, was die Zahlen der Opfer angehe, die Zahl der zerstörten Seelen und die grausame Perfektion, mit der der Massenmord organisiert worden war. Ihn störe, betonte Weil, dass Wichmann als AfD-Redner kein einziges Wort zu diesem Anlass vorgetragen habe, sondern seine Rede nur um die AfD selbst gekreist habe.

Der CDU-Politiker Jens Nacke warf Wichmann vor, es sei doch gerade die AfD, die andere Meinungen nicht dulde, die anderen Parteien und die Medien verschwörungstheoretisch in einen Topf werfe und ihnen schlimme Dinge unterstelle. Die politische Mitte werde es aber nicht hinnehmen, wenn eine Fraktion mit Vorurteilen, Unwahrheiten und Lügen versuche, den Staat herabzuwürdigen.