Künstliche Intelligenz: Wirtschaft will mehr Tempo
An den Roboter, der einem die schwierigen Arbeiten abnimmt, haben sich inzwischen alle gewöhnt. Wenn die Wirtschaft über „künstliche Intelligenz“ redet oder über „die industrielle Revolution 4.0“, dann ist etwas anderes gemeint – der Roboter, der den Menschen das Denken abnimmt oder sie darin sogar überholt. Diese Vision jagt vielen Leuten Angst ein, die Wirtschaft aber warnt vor der Fixierung auf die Nachteile. Den achten „Arbeitgebertag“ haben die Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) gestern Abend diesem Thema gewidmet, und UVN-Präsident Werner M. Bahlsen gab in einem längeren Grußwort eine klare Botschaft an die versammelten Wirtschaftsleute, Verbandsvertreter und Politiker aus: „Wir dürfen nicht die Risiken überbetonen, sondern müssen die Chancen sehen. Wir müssen auch bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz dabei sein – und nicht nur Produkte von anderen zukaufen.“
Wie sehr hier die Einschätzungen auseinandergehen, zeigen die Reden auf diesem UVN-Forum. Bahlsen etwa sieht die Mängel, vor allem bei der Grundlage für alles, was diese künstliche Intelligenz möglich machen kann – beim Ausbau der Datennetze. Bis der notwendige 5G-Standard, der selbst auch nur ein Zwischenschritt zu mehr sein kann, in allen Winkeln des Landes Wirklichkeit ist, vergehe viel zu viel Zeit. Die Politik habe bei der Versteigerung der Lizenzen „große Fehler gemacht“, alles gehe viel zu langsam voran und die Industrie fordere jetzt ein eigenes separatesn Frequenzband – um im Wettbewerb mit dem schnelleren Ausland mithalten zu können. Wenn man zudem Mitarbeiter effektiv einsetzen und schulen wolle, müsse man viele individuelle Daten für Algorithmen nutzen können – doch in Deutschland werde der Gebrauch von Daten immer mit negativen Erwartungen verknüpft. „Andere Länder sehen da zuerst das Positive“, meint Bahlsen. Er wirbt für „Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge“, in denen der Einsatz künstlicher Intelligenz mutig geregelt werden solle.
Weit zurückhaltender beurteilt Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Lage. Zum einen sei die niedersächsische Ausgangssituation längst nicht so schlecht wie oft beschrieben – mit der Automobil- und der Agrarwirtschaft habe man hier zwei große Bereiche, und das Testfeld für Elektromobilität biete exzellente Voraussetzungen für die Forschung. Die oft geforderten, bisher im Haushaltsplanentwurf nicht enthaltenen Digitalprofessuren würden nächstes Jahr auch geschaffen werden. Im Bundesrat werbe Niedersachsen gemeinsam mit Bayern für eine Änderung der Steuervorschriften, damit kleine Unternehmen mehr in Forschung und Entwicklung investieren. „Aber wir dürfen auch nicht blind werden und die Risiken übersehen“, fordert der Ministerpräsident. In China würden viele Daten über die Menschen genutzt, um damit die Zivilbevölkerung zu kontrollieren. „Die deutsche Einheit hätte nie stattgefunden, wenn die Stasi vor 30 Jahren schon die Möglichkeiten gehabt hätte, die China heute hat.“
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Ist die künstliche Intelligenz also doch mehr Fluch als Segen? Prof. Sabina Jeschke, Physikerin, Mathematikerin, Informatikerin und Vorstand für Digitalisierung bei der Bahn AG, umging in ihrem Vortrag beim Arbeitgebertag diese Frage. Sie zeigte aber am Beispiel ihres Unternehmens eine ganze Reihe praktischer, oft bisher ungeahnter Möglichkeiten auf. Die Bahn solle 2030 doppelt so viele Menschen befördern wie heute – die gesellschaftliche Akzeptanz dafür sei sehr groß. Die bisherigen Systeme aber würden an ihre Grenzen stoßen. Künstliche Intelligenz könne hier abhelfen – wenn beispielsweise in den Gleisen Signale vorhanden sind, die anzeigen, dass ein Baum auf die Schienen gefallen ist. „Dann kann man automatisch die Drohne mit der Kettensäge losschicken.“ Man könne mehrere hintereinanderfahrende ICE-Züge so programmieren, dass ihre Bremssysteme aufeinander abgestimmt sind und gleichzeitig funktionieren – damit lasse sich der Sicherheitsabstand zwischen zwei Zügen verringern, folglich ließen sich ohne den Bau neuer Gleise die Fahrgasttransporte um ein Fünftel erhöhen. Für das Ruhrgebiet, wo es zu wenig Züge und zu viele Fahrgäste gebe, sei das ein ideales Modell.
Aber auch Jeschke sieht, ähnlich wie es Weil angedeutet hat, Nachteile und Risiken: Weil der Übergang vom bisherigen System zu dem der Zukunft Zeit brauche, brauche man auch noch für eine gewisse Frist die Lokführer, bevor die Züge elektrisch fahren. „Und dann soll ich einem Auszubildenden diesen Job schmackhaft machen, indem ich ihm sagen muss, dass er in zehn Jahren keine Beschäftigung mehr hat?“ Außerdem sei das Erfolgsgeheimnis der besonders erfolgreichen Entwickler wie Google oder Tesla, dass sie sämtliche verfügbaren Daten einspeisen, bevor sie ein kundengerechtes neues Produkt entwerfen – also auch jene, von denen traditionelle Erfinder vorher gemeint hatten, sie seien irrelevant. „Wir brauchen also möglichst alle Daten, weil wir oft noch nicht ahnen, wofür sie bedeutsam werden können.“ Das aber, meint Jeschke, sei mit den strengen Datenschutzregeln hierzulande überhaupt nicht vereinbar. Und dann sei da noch der Trend der künstlichen Intelligenz, sich immer stärker vom Input menschlicher Erfahrungen und Gewohnheiten abzukoppeln. Am Ende dann kann die Maschine nicht so gut arbeiten wie der Mensch, sondern womöglich noch besser, weil sie die typisch menschlichen Herangehensweisen an eine Problemlösung gar nicht mehr benötigt.
Ist das nun etwas Erstrebenswertes oder eine Horrorvision? Jeschke, ganz Unternehmensvorstand, sieht es positiv: „Wir müssen bereit sein, an der Entwicklung zu arbeiten. Wenn wir es in dem Tempo machen wie bisher, werden wir es wohl nicht schaffen.“ (kw)