57 Tage regiert jetzt die Große Koalition in Hannover – und seit gestern gibt es den ersten handfesten Krach zwischen Sozial- und Christdemokraten. Auslöser ist ein 127.000 Euro teures Gutachten, das der Bochumer Verwaltungswissenschaftler Jörg Bogumil noch für die alte rot-grüne Landesregierung entwickelt hatte. Gestern stellte er die Ergebnisse gemeinsam mit der zuständigen Regionalministerin Birgit Honé (SPD) in einer Pressekonferenz vor – und erregte daraufhin den Unmut der CDU-Landtagsfraktion. „Das Gutachten von Bogumil stellt keine Grundlage für die angestrebte Verwaltungsmodernisierung dar“, erklärte schriftlich CDU-Fraktionsvize Uwe Schünemann, früher selbst Innenminister. Verwundert sei er, dass Honé diese seit vergangenen Oktober vorliegende Studie des Bochumer Verwaltungswissenschaftlers nicht schon vor Bildung der neuen Koalition veröffentlicht habe. Für die Neuaufstellung der Landesverwaltung liefere das 147 Seiten starke Papier jedenfalls keinen Beitrag, fügte Schünemann hinzu.

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In der Studie geht es zunächst um die Bewertung der 2014 von Rot-Grün geschaffenen „Ämter für Regionalentwicklung“ (ÄfR), aber auch um die Frage, welche Schritte Bogumil für eine zukünftige Verwaltungsreform empfiehlt. Bekannt ist, dass der Gutachter die einst von Schwarz-Gelb in Niedersachsen 2005 vollzogene Verwaltungsreform ausgesprochen kritisch sieht. Er befürwortet regionale Bündelungsbehörden, wie sie früher die Bezirksregierungen gewesen waren. Aktuell empfiehlt Bogumil nun, mehrere Kompetenzen aus den nachgeordneten Behörden von Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) und Umweltminister Olaf Lies (SPD) in die ÄfR zu übertragen. Da die ÄfR Honé unterstehen, würde ihr Haus dadurch mehr Kompetenzen erhalten. Eine Übertragung von Zuständigkeiten von Innenminister Boris Pistorius (SPD) an die ÄfR schlägt Bogumil allerdings nicht vor. Anders als früher halte er es heute durchaus für sinnvoll, dass die Kommunalaufsicht für Kreise und kreisfreie Städte direkt dem Innenministerium zugeordnet sei.

Keine Wiederauferstehung der Bezirksregierungen

Zwar versuchte Bogumil in der Pressekonferenz, den Eindruck von größeren Verlagerungen zu verwischen. Es gehe um 20 Stellen aus der Landesbehörde für Straßenbau, 40 aus den Gewerbeaufsichtsämtern und 80 aus dem Landesbetrieb für Wasserwirtschaft und Küstenschutz, die er künftig den ÄfR zuordnen wolle. Honé ergänzte, dass sie zwar persönlich die Empfehlungen von Bogumil nicht bewerten wolle, aber im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei, dass die Landesbeauftragten und die ÄfR bei eilbedürftigen großen Genehmigungsverfahren und regionalpolitischen Konfliktfällen für zuständig erklärt werden könnten – sofern die Landesregierung das im Einzelfall beschließt. Sowohl Honé als auch Bogumil widersprachen der Einschätzung, sie befürworteten die Wiederauferstehung der 2005 – damals von Schünemann – aufgelösten Bezirksregierungen. „Diese Verwaltungsebene ist abgeschafft, sie wird es nicht wieder geben. Wir planen in Niedersachsen einen komplett neuen Weg“, betonte Honé. Welche Grundlagen für eine neue Verwaltungsreform geschaffen werden und welche Gutachten dafür beauftragt werden, solle eine „Regierungskommission“ unter Leitung von Staatskanzleichef Jörg Mielke festlegen. Die Überlegungen dafür seien aber „erst ganz am Anfang“.

Schünemann: „Einschätzung zu Ritterhude fehlerhaft“

Schünemann erklärte, die Vorschläge Bogumils etwa für die Straßenbauverwaltung gingen in die Irre, da es doch gerade um Stärkung und Beschleunigung von Verkehrsprojekten gehe. Im Übrigen sei Bogumils Einschätzung, das Explosionsunglück von Ritterhude sei auf fehlende Koordination nach der Verwaltungsreform von 2005 zurückzuführen, fehlerhaft. Tatsächlich beruhten die wesentlichen Versäumnisse in Ritterhude auf Entscheidungen, die vor 2003 gefällt worden sind – zu einer Zeit also, als es die Bezirksregierungen noch gegeben hatte. Bogumils Gutachten zeige „zahlreiche handwerkliche Fehler“. Der SPD-Sprecher für Regionalpolitik, Christos Pantazis, nannte die Abschaffung der Bezirksregierungen von 2005 eine „folgenschwere Fehlentscheidung“ und fügte hinzu: „Ich empfehle, die Grabenkämpfe der vergangenen Jahre und persönliche Befindlichkeiten hinter sich zu lassen.“