Darum geht es: Der Hilferuf der Stadt Salzgitter ist in der Politik angekommen – die unter massiven Haushaltsproblemen leidende kreisfreie Kommune wird von überproportional vielen Syrern als neue Heimat ausgesucht. Aber nimmt die Politik die damit verbundenen Probleme erst genug? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Es ist wie so oft in der politischen Debatte: Ein Begriff wird in den Raum geworfen, das eine politische Lager reagiert darauf positiv, das andere negativ. Am Ende bleibt es dabei – und die Beobachter haben den Eindruck, dass sich in der Sache selbst nicht wirklich etwas bewegt. Die Diskussion erschöpft sich im Austausch von Ritualen, die Probleme aber bleiben ungelöst.

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Tatsächlich ist die „Wohnsitzauflage“, über die jetzt in der Landespolitik gestritten wird, ein kompliziertes und enorm schwieriges Regelwerk. Das Aufenthaltsgesetz des Bundes eröffnet Möglichkeiten, den anerkannten Flüchtlingen die Wohnorte in Deutschland vorzuschreiben – und ihnen beispielsweise zu untersagen, nach Salzgitter zu ziehen. Denn in Salzgitter leben schon viele Syrer, wenn noch mehr hinzukommen, dann könnte die Integration misslingen. Eine Integration kann ja nur klappen, wenn die zu uns kommenden Menschen die Regeln, Sitten, Gebräuche und auch die deutsche Sprache annehmen – wenn sie all diese Werte und Normen zu ihren eigenen erklären. Dazu muss es aber intensive Kontakte zur deutschen Bevölkerung geben, und die sind umso schwerer, je stärker sich eine eigene „syrische Community“ herausbildet. Aber so verständlich und nachvollziehbar die dem Aufenthaltsgesetz zugrundeliegende Absicht mit der „Wohnsitzauflage“ auch ist, so umständlich und bürokratisch kann die Umsetzung sein. Immerhin wird damit das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, das auch für hier lebende Flüchtlinge gilt, berührt.

Wie sollten die Politiker reagieren? Sie müssten nach alternativen, wirkungsvolleren Mitteln suchen, die Wohnortentscheidungen der Flüchtlinge zu steuern – eventuell über spezielle Angebote, über Förderprogramme oder Anreizsysteme. Auf jedem Fall müsste sie Probleme, wie sie in Salzgitter und auch in Delmenhorst und Wilhelmshaven drohen, erst nehmen. Stattdessen ist in manchen politischen Lagern eine merkwürdige Haltung zu spüren, die getreu dem Motto läuft: „Das wird sich schon regeln. Mit einigem guten Willen sind die Probleme gar nicht so groß.“ Diese Haltung ist nicht nur ignorant, sondern gefährlich. Jahrzehntelang wurde in Deutschland zugesehen, als sich Parallelgesellschaften bildeten, und das nicht nur in Großstädten. Manchmal ging es gut, weil die Zuwanderer trotz der Tatsache, dass sie in eigenen Gruppen und Nachbarschaften leben, intensiven Kontakten zu den Deutschen hielten. Oft aber war das Ergebnis Abschottung, und mit Beginn der Flüchtlingswelle vor zwei Jahren hatten alle Politiker versprochen, es diesmal besser zu machen – und eine Ghettobildung unter den Zugewanderten auf jeden Fall zu vermeiden.

War das wirklich ernst gemeint? Manchmal kann man Zweifel haben. Es hat Monate gedauert, bis sich auf einen Hilferuf des Oberbürgermeisters von Salzgitter an die Landesregierung etwas regte. Immerhin hat man jetzt den Eindruck, dass die Fachleute im Innenministerium den Problemen intensiv auf den Grund gehen wollen. Aber ringt sich die Landesregierung tatsächlich dazu durch, so etwas wie eine Steuerung des Zuzugs von Flüchtlingen, zugunsten einer in etwa gleichmäßigen Verteilung im Land, in Gang zu setzen? Das strikte Nein der Grünen-Landesvorsitzenden zu der „Wohnsitzauflage“ spricht eher nicht dafür.

Womöglich erleben wir derzeit einen zweiten Salzgitter-Effekt. Der erste Effekt betrifft das Verhalten der Flüchtlinge: Sie finden in Salzgitter günstige und angenehme Wohnbedingungen – und sie ziehen immer mehr Landsleute nach. Wo schon Syrer leben, werden schnell weitere heimisch, die Stadt entfaltet für diese Gruppe eine magnetische Wirkung. Der zweite Salzgitter-Effekt schließt sich daran an: Die Politiker erkennen, dass die Stadtväter und -mütter in Salzgitter vor besonders großen Herausforderung bei der Integration stehen, manche von ihnen sehen sogar ein, dass in der Stahlstadt ein Problem entstehen könnte. Aber beim bekundeten Mitgefühl bleibt es dann, die Nachricht bewegt die politische Landschaft nicht wirklich – weil immer noch viel zu viele Akteure glauben, die Integration werde schon irgendwie gelingen. Oder weil das, was in Salzgitter geschieht, schon im Nachbarort die Leute nur noch mäßig interessiert.

 

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