In Niedersachsen mangelt es immer noch an Hausärzten, aber die Lage bessert sich. Gab es landesweit einmal deutlich mehr als 400 freie Hausarztsitze, so sind es inzwischen nur noch 335. Der Trend ist also positiv. Aber nach wie vor gibt es Regionen, die unterversorgt sind. An der Spitze stehen dabei laut der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen das Umland von Bremerhaven sowie das Umland von Wolfsburg mit einem Versorgungsrad von 68 beziehungsweise 74 Prozent. Auch in den Bereichen Harburg-Nord, Leer-Süd oder dem Braunschweiger Umland ist die Lage etwas schwieriger. Jetzt gilt es, viele Medizinstudenten für den Hausarztberuf zu begeistern, denn in den kommenden zehn Jahren geht mehr als ein Drittel der 13.600 Vertragsätze in Niedersachsen in den Ruhestand.

Immer beruhigend, wenn das EKG gut aussieht - egal ob in der Praxis oder beim Hausbesuch  -  Foto: santypan

Immer beruhigend, wenn das EKG gut aussieht – egal ob in der Praxis oder beim Hausbesuch – Foto: santypan

Auch der Sozialausschuss des Landtages hat sich gestern wieder mit dem Thema Ärztemangel beschäftigt. Grundlage war ein Antrag der CDU-Landtagsfraktion, in dem in mehreren Punkten größere Anstrengungen der Landesregierung gefordert werden. Doch was kann die Politik tun? Wenig, meinte der SPD-Sozialpolitiker Uwe Schwarz, der im Ausschuss zumindest verbal auf den Tisch schlug. „Wir können hier alles fordern, aber die Landesregierung ist zumeist nicht der richtige Ansprechpartner. Deshalb können wir da auch nichts machen“, sagte Schwarz. Jedes Mal übernehme sich die Politik, wenn sie das Thema diskutiere und entsprechende Forderungen aufstelle.

Und in der Tat: Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung gehen das Problem bereits seit Jahren an, werben inzwischen auch an den Universitätsstandorten für den Hausarztberuf. Und auch die Digitalisierung könnte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten dafür sorgen, dass sich die Lage entspannt. Telemedizin – das klingt immer ein wenig nach Telekolleg, bei dem Menschen, gekleidet  mit unmodischen Pullundern, in einem Fernsehstudio aus den 70er Jahren mathematische Formeln  erläutern. In den Medizin ist Telemedizin die digitale Zukunft – Medizin 4.0.

Beispiel Osnabrück. In den nächsten Wochen soll hier ein neues Modellprojekt beginnen, bei dem nicht mehr der Hausarzt immer automatisch den Hausbesuch übernimmt, sondern häufig auch die sogenannten TeleVERAHs. Das sind Praxismitarbeiterinnen, die vom Hausärzteverband speziell für ihre neue Aufgabe geschult wurden und, ausgestattet mit technischen Geräten, den Hausbesuch übernehmen können. „Wenn zum Beispiel das EKG beim Patienten läuft, kann der Arzt das in der Praxis mitverfolgen und dann über eine gesicherte Leitung mit dem Patienten Kontakt aufnehmen“, erklärt Martin Schnellhammer, Geschäftsbereichsleiter beim Living Lab, das solche Innovationen im Bereich Wohnen und Pflege entwickelt. Man habe das Projekt zusammen mit mehreren Landarztpraxen entwickelt. Denn gerade dort seien Hausbesuche immer mit einem sehr großen Aufwand verbunden. „Wir wollen das System zum Beispiel im Palliativbereich einsetzen, wo es eine hohe Hausbesuchsdichte gibt“, erklärt Schnellhammer im Gespräch mit dem Rundblick. Hier gebe es teilweise bis zu drei Arztbesuche pro Tag bei ein und demselben Patienten, zum Beispiel in bestimmten Krisenlagen.

Wie reagieren die Patienten, wenn statt dem Hausarzt der Kollege Computer nach Hause kommt? Schnellhammer räumt ein, dass die Technik manche Patienten ein Stück weit verunsichere. Es gebe in ersten Versuchen, zum Beispiel im Sauerland, aber auch sehr positive Reaktionen. „Viele Patienten wissen es sehr zu schätzen, dass die Sprechstundenhilfe, die den Hausbesuch übernimmt, mehr Zeit hat als der Arzt.“ Das System könne gerade dort eine Lösung sein, wo routinemäßig Hausbesuche gemacht werden müssen. Auch der Medizinethiker Daniel Strech von der Medizinischen Hochschule Hannover kann sich gut vorstellen, dass viele Patienten gar keinen gesteigerten Wert auf die direkte Begegnung mit dem Arzt legten. Schließlich müsse man sich dann auch bei Kleinigkeiten erst einmal ins Wartezimmer setzen.

Erste kritische Härtetests hat das System der Telemedizin schon erfolgreich gemeistert, zum Beispiel am Klinikum Oldenburg. Dort werden Menschen betreut, für die ein weit entlegener Landarzt schon der reinste Luxus wäre: Die Mitarbeiter der Offshore-Windparks in der Nordsee. Setzt ein Notfallsanitäter in der Nordsee einen Alarm ab, kommt dieser in der Leitstelle der Johanniter in Berne an. Dann können die Vitaldaten des Patienten in Echtzeit geprüft werden. Auch für die Krankenhäuser ist das System ein Vorteil. Sollte der Hubschrauber starten und den Patienten ins Krankenhaus bringen müssen, sind die Ärzte bereits über den aktuellen Zustand bestens informiert.  Der ärztliche Leiter der Telemedizin-Zentrale sieht zum Beispiel die ostfriesischen Inseln als sinnvollen Einsatzort für Telemedizin. Zumindest räumlich wäre das für die Experten in Oldenburg keine Herausforderung mehr – immerhin haben die Mediziner schon Patienten betreut, die deutlich weiter entfernt waren: In der Forschungsstation Neumayer 3, mitten in der Antarktis. (MB.)