Die Sensibilität in Bezug auf Kindesmisshandlung ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Das haben Experten im Vorfeld der Niedersächsischen Kinderschutzkonferenz in Hannover festgestellt. Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt nahm dabei unter anderem die Zahl sogenannter Inobhutnahmen als Gradmesser, zum Beispiel nach Misshandlungen oder Vernachlässigungen. Diese lag vor zehn Jahren bei 2235 – im Jahr 2014 stieg sie um über 70 Prozent auf 3885. „Wir führen das darauf zurück, dass man inzwischen deutlich sensibler handelt“, sagte Rundt.

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Das stellt auch die Anke Broßat-Warschun, Leiterin des Fachbereichs Jugend und Familie in Hannover, fest. In der Landeshauptstadt seien 2016 insgesamt 1260 Meldungen von Nachbarn, der Polizei oder von Menschen, die sich Sorgen machten, eingegangen. „Alle Fälle wurden geprüft. Dabei wurden in Hannover 139 Kindeswohlgefährdungen festgestellt“, so Broßat-Warschun. Beim allergrößten Teil handele es sich um ernstzunehmende Meldungen. „Da will niemand über den Nachbarn herziehen. Es sind Menschen, die sich ernsthafte Sorgen machen.“ Sozialministerin Rundt hält die Hinweise aus Umfeld und Nachbarschaft für wichtig. „Es muss Achtsamkeit herrschen, damit die örtlichen Jugendämter betroffenen Kindern helfen können.“

Barbara Ludwikowski, Chefärztin im Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult in Hannover, stellte fest, dass viele Eltern inzwischen überfordert seien. „Sie sind froh und sehen es als Entlastung, wenn man ihnen durch die Jugendhilfe Unterstützung anbietet. Gerade viele alleinerziehende Frauen sind sehr dankbar dafür.“ Es fehlten die großen Familien von früher, in denen die Großmutter noch bei der Kinderziehung half. „Viele sind einfach alleine gelassen.“ Der Jugendamtsleiter der Region Hannover, Roland Levin, sagte, dass die Familien heute eher zur Jugendhilfe kämen. „Die Zugangsschwelle zur Jugendhilfe hat sich verändert. Die Familien kommen offensiv und sind offen für Beratung. Da hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert.“ Laut Cornelia Rundt geht es heute in den Jugendämtern auch weniger um Kontrollen und Sanktionen, sondern mehr um Beratung.

Levin zufolge wird Prävention beim Kinderschutz in Zukunft weiterhin eine große Rolle spielen. „Es geht darum, bei drohenden Gefährdungen frühzeitig Familien, Kinder und Jugendliche zu erreichen.“ Dabei werde es eine riesige Herausforderungen, Familien mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung gut zu empfangen und zu begleiten. „Da hat die Frage des Kindeswohls durch die kulturellen Unterschiede eine ganz andere Bedeutung. Darüber werden wir auf Fachtagungen reden müssen“, sagte Levin.