Kind und Karriere: Unternehmen müssen Arbeitnehmern stärker entgegenkommen
Wie lassen sich Familie und Beruf miteinander vereinbaren, ohne dass immer eine Seite ins Hintertreffen gerät? Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels und der wachsenden Möglichkeiten einer digitalisierten Arbeitswelt testen auch in Niedersachsen immer mehr Unternehmen Wege, die ihren Mitarbeitern Kind und Karriere ermöglichen. Dabei ist „Home Office“, das Arbeiten von zu Hause aus, nur eins von mehreren Modellen. Denn das ist auch nicht für jede Berufsgruppe praktikabel. Andere Optionen sind beispielsweise eine flexible Arbeitszeitgestaltung oder eine Kinderbetreuung im Unternehmen. Doch diejenigen, die solche Angebote anbieten oder nutzen, sind sich einig: Ohne ein Entgegenkommen der Unternehmen und eine grundlegende Veränderung der Arbeitskultur wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterhin ein Balanceakt bleiben.
Kathrin Weigt hatte vor zwei Jahren sprichwörtlich die Nase voll. Drei Jahre hat sie in Teilzeit bei einem großen hannoverschen Unternehmen gearbeitet, bei dem sie auch vor der Geburt ihres jüngsten Sohnes schon angestellt gewesen war. „Ich habe versucht, so schnell es ging meine Stundenzahl wieder nach oben zu schrauben, ohne dabei große Abstriche im Familienleben zu machen – es hat alles nichts genutzt. Für meinen Arbeitgeber war ich als Teilzeitkraft eine Angestellte zweiter Klasse.“ Die Verärgerung ist ihr heute noch anzumerken. Denn in vielen Unternehmen ist Teilzeit nach wie vor mit dem Bild einer Mutter verknüpft, die morgens ein paar Stunden ins Büro kommt und mittags schon nach Hause geht. „Und daraus wird abgeleitet, dass Teilzeitkräfte kein Recht auf Ansprüche wie Weiterbildung oder Karriereförderung haben“, sagt Weigt und ihre Stimme klingt bitter. Denn als „Teilzeit-Mutti“, die neben Haushalt und Kindern ein bisschen Geld verdient, habe sie sich nie gesehen. „Als Akademikerin will ich Karriere machen, aber ich will auch für meine Kinder da sein. Und wenn die antiquierte Denkweise, dass nur jemand mit einer 40-Stunden-plus-Woche ein fähiger Mitarbeiter ist, endlich abgeschafft wäre, wären Kinder und Karriere auch kein Problem mehr.“
Denn dass es möglich ist, zeigt ihr ihr neuer Arbeitgeber. Seit Oktober 2015 ist Weigt Corporate Controller beim Kekshersteller Bahlsen in Hannover und arbeitet 32 Stunden pro Woche. „Das funktioniert bislang völlig problemlos.“ In ihre E-Mail-Signatur hat sie geschrieben, dass sie donnerstags nicht erreichbar ist. „Und wenn doch mal ein Termin am Donnerstag ist, dann bleibe ich eben an einem anderen Tag zu Hause.“ Besonders gefällt ihr allerdings, dass sie nicht die Einzige in Teilzeit ist. „In meiner Abteilung arbeiten die Mitarbeiter fast nur Teilzeit. Und das nicht nur wegen der Familie.“ Einige etwa arbeiteten weniger, um mehr Zeit für Hobbies oder einen zweiten Job zu haben. „Teilzeitmodelle werden hier nicht nur unterstützt, sie werden auch gefördert und damit wertgeschätzt“, sagt Weigt.
Eine andere Möglichkeit, vor allem für Menschen, die nicht in Teilzeit gehen können, zeigen Silvia Steude und Katja Thiede. Die beiden Berlinerinnen haben den Coworking-Arbeitsplatz „Jugglehub“ gegründet, ein Büro mit eigenem Spielzimmer, in dem Eltern ihr Kind betreuen lassen können, während sie im Nebenraum arbeiten. „Das ist natürlich in erster Linie was für Selbstständige, die nicht zu Hause arbeiten wollen oder können“, sagt Thiede. Allerdings lasse sich das Konzept des „Jugglehub“ auch auf Unternehmen übertragen. „In fast jedem Unternehmen gibt es ein freies Zimmer, das man zum Spielzimmer machen kann“, sagt Steude. Die Kinderbetreuer in ihrem „Jugglehub“ seien zudem keine ausgebildeten Erzieher, sondern nur Betreuer, weshalb man keine Zulassung als Kindergarten brauche. Denn die Aufsichtspflicht verbleibe weiterhin bei den Eltern. „Der Vorteil an diesem Prinzip ist, dass es sehr spontan funktioniert. Wenn etwa der Kindergarten heute geschlossen ist und ich nicht weiß, wohin mit meinem Kind, dann kann ich es einfach mit zur Arbeit nehmen.“ Viele brächten ihre Kinder nicht jeden Tag mit in den „Jugglehub“. „Aber Stammgäste haben wir natürlich trotzdem“, sagt Thiede.