Kehrt der Radikalerlass zurück? Minister denken an Überprüfung AfD-naher Beamter
Der Radikalenerlass, der in Bund und Ländern in den siebziger und achtziger Jahren galt, ist heute höchst umstritten. In diesen Tagen aber gibt es Hinweise, dass eine ähnliche Regelung wieder neu eingeführt werden könnte – diesmal zu Lasten der AfD. Es geht dabei um die Überprüfung von Beamten und solchen, die es werden wollen, auf ihre Verfassungstreue. Gestern haben zwei Interviews den Verdacht auf ein Comeback des Erlasses genährt. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD), dass sich Funktionsträger oder Wahlkreiskandidaten der AfD, die einer radikalen Richtung in der Partei angehören, „Fragen ihres Dienstherrn gefallen lassen“ müssten. Gleichzeitig erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, er lasse die Rückwirkungen von Parteimitgliedschaften auf die Beamtenpflichten gerade hausintern begutachten. In bis zu acht Wochen rechne er mit Ergebnissen. Dabei ergänzte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, dass die Treuepflicht der Beamten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht bloß bedeute, formal korrekt das Grundgesetz anzuerkennen. In einem echten Bekenntnis müsse jeder Beamte den Schein vermeiden, er denke in Wahrheit ganz anders. Das wird als Hinweis auf die unter rechtsextremen Staatsfeinden verbreitete Praxis verstanden, ihre Distanz zum Rechtsstaat nur vage anzudeuten und Mehrdeutigkeiten bewusst im Raum stehen zu lassen.
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In dieser Debatte stoßen zwei gegensätzliche Entwicklungen aufeinander. Auf der einen Seite verschärfen die Sicherheitsbehörden den Umgang mit der AfD, die Partei wurde als „Prüf-Fall“ eingestuft, der rechte Flügel steht sogar im Verdacht, verfassungsfeindlich zu sein. Aus mehreren Bundesländern wird berichtet, dass in Polizeikreisen viele AfD-Anhänger aktiv seien, darunter auch solche, die der radikalen Richtung von Björn Höcke nahe stünden. Der Verfassungsschutz nimmt die AfD damit stärker in seinen Blick. Auf der anderen Seite verurteilen vor allem linke politische Kreise, gerade in Niedersachsen, den Radikalenerlass der frühen siebziger Jahre als „Berufsverbotspraxis“, die sich damals vor allem gegen Linksextremisten gerichtet habe. Der 1972 beschlossene Radikalenerlass sah vor, Beamte zielstrebig auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen – meistens über Regelanfragen beim Verfassungsschutz. Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden bei der Überprüfung oft vorgeladen, berichtet wird von teilweise unsachlichen und inquisitorischen Befragungen, die für die Betroffenen entwürdigend gewesen seien und dazu geführt hätten, das in mehreren Fällen Bewerber aus nicht stichhaltigen Gründen vom Staatsdienst ferngehalten wurden. Dabei bestreiten viele „Berufsverbot“-Gegner nicht, dass Beamte zur freiheitlichen Grundordnung stehen müssten. Sie wenden sich aber gegen zwei Praktiken von damals: Oft wurde bereits ohne Einzelfallprüfung von der Parteimitgliedschaft auf fehlende Verfassungstreue geschlossen, oft geschah das auch nach einer intensiven Überprüfung durch den Verfassungsschutz. Es geschah also das, was von Kritikern „Gesinnungsschnüffelei“ genannt wird.
Mittel der Einschüchterung von Andersdenkenden?
Sollte nun Seehofers hausinterne Prüfung zum Ergebnis kommen, die AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst zu kontrollieren, so läge dafür wieder eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz nahe. Im Verfahren der Überprüfung während des damaligen Radikalenerlasses sahen die Betroffenen ein Mittel der Einschüchterung von Andersdenkenden. Dies könnten jetzt auch, wenn es wieder so kommen sollte, AfD-Mitglieder und -Sympathisanten behaupten. In einer Stellungnahme der AfD-Landtagsfraktion von gestern, die ohne Namensnennung verbreitet wurde, wird Pistorius pauschal beschuldigt, mit einer „Angstkampagne“ angeblich „pauschal verunsichern“ zu wollen. Der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Helge Limburg erklärte im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick, einzelne AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst, bei denen es konkrete Auffälligkeiten gebe, müssten selbstverständlich überprüft werden. Das geschehe ja schon bisher. „Wir halten aber nichts von einer Neuauflage des Radikalenerlasses und einer neuen flächendeckenden Überprüfung, auch wenn es gut gemeint ist.“ Im Deutschlandfunk sagte die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Pauschalisierung von Vorwürfen gegen alle AfD-Mitglieder sei geeignet, aus den Mitgliedern dieser Partei „Märtyrer“ zu machen.