K-Frage in der CDU: Die Basis will Söder
Teilnehmer sprechen davon, dass das Meinungsbild „eindeutig“ gewesen sei: Als Niedersachsens CDU-Landeschef Bernd Althusmann am Wochenende alle Kreisvorsitzenden und Landesvorstandsmitglieder zu einer Online-Konferenz zusammenrief, hofften manche wohl auf eine knappe, konzentrierte Sitzung – Start war Sonntagabend um 20 Uhr, und man hätte fast noch die zweite Hälfte des „Tatorts“ schaffen können. Doch es wurden dann knapp drei Stunden daraus.
Einige, die dabei waren, sprechen von einer „sehr sachlichen“ Atmosphäre und davon, dass beide Lager sich „in tiefem gegenseitigem Respekt“ gegenübergestanden hätten. Aber im Ergebnis war der Termin dann doch wohl Wasser auf die Mühlen von Markus Söder. Es wurde klar, dass der Funktionsträger-Mittelbau in einem der größten CDU-Landesorganisationen, nämlich Niedersachsen, mit deutlicher Mehrheit für den bayerischen Ministerpräsidenten als nächsten Kanzlerkandidaten der Union plädiert.
Offizielle Mitteilungen verkneift sich die Niedersachsen-CDU nach diesem Abend allerdings. Es sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die eher als Anhänger von CDU-Chef Armin Laschet gelten und die Nachricht verbreiten, es seien „alle Argumente vorgetragen und abgewogen“ worden. Manche hätten sich verärgert über Söders Auftreten geäußert und darüber, dass der CSU-Chef den Bundesvorstand und das Präsidium der großen Schwester CDU als „Hinterzimmer“ verächtlich gemacht habe. Andere hätten auf die gravierenden Folgen für die CDU hingewiesen, die drohten, wenn man dem gerade erst frisch gekürten CDU-Bundesvorsitzenden seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur streitig machen wolle und damit seine Autorität untergrabe.
Das ist die eine Seite. Die andere steht für viele Kreisvorsitzende und Landesvorstandsmitglieder, die in ihren Heimatverbänden großen Zuspruch für Söder gehört und gespürt haben wollen. Söder spreche eine klare Sprache, stehe für einen kräftigen Führungsanspruch und zeige mit den guten Umfragewerten, dass er als Spitzenkandidat der Garant für das beste Ergebnis bei der Bundestagswahl sei. Laschets aktuelle Werte hingegen seien alarmierend. Manchen, die in der Kreisvorsitzenden-Konferenz dabei waren, fiel hinterher auf, dass einige Funktionsträger der CDU „sehr zurückhaltend“ geblieben seien – auch solche, die man sonst im Laschet-Lager verortet hatte. Sie hätten sich abwartend verhalten.
Wer hat „das Ohr an der Basis“?
Immerhin sind in dem CDU-Treffen auch die taktischen Argumente beleuchtet worden. So hieß es von einigen, das „Stimmungsbild der Basis“ sei in Wahrheit doch nur eines der Funktionsträger – denn wegen der Corona-bedingten Kontaktsperren und ausfallenden Versammlungen beschränke sich das gängige Meinungsbild vor allem auf die Wahrnehmung im Fernsehen und in den anderen Medien – und das könne täuschen. Niemand könne derzeit wirklich „das Ohr an der Basis“ haben. Andere entgegnen, die Zeit bis zur Bundestagswahl sei zu knapp für den erhofften „Stimmungsumschwung“ zu Gunsten des eher dröge, umständlich und nicht so entscheidungsfreudig geltenden Laschet. Sein Tief drohe die Union bei der Wahl in den Abgrund zu ziehen.
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Spannend ist nun auch, wie sich CDU-Landeschef Bernd Althusmann verhält. Vor gut einem Jahr, kurz vor Beginn der Corona-Krise, hatte er sich beim „kleinen Parteitag“ in Hameln früh für Laschet als neuen CDU-Bundesvorsitzenden ausgesprochen. Als dann vor zehn Tagen klar war, dass Söder und Laschet Kanzlerkandidaten werden wollen, gehörten Althusmann und CDU-Bundesvize Silvia Breher aus Cloppenburg zu den ersten, die Laschet auch öffentlich unterstützten. Das wiederum rief Unzufriedenheit bei anderen niedersächsischen CDU-Vertretern hervor – und in letzter Konsequenz sollte die CDU-Kreisvorsitzenden-Konferenz am Sonntagabend ein Ventil sein, die Kritiker der offiziellen Althusmann-Linie sollten sich Luft machen können. In der konkreten Situation ist damit allerdings auch ein erneuter Dämpfer für Laschet verbunden. Das Bild, dass sein Rückhalt bröckelt, verfestigte sich durch dieses Niedersachsen-Treffen. Somit sind die Niedersachsen derzeit keine starke Säule mehr für Laschets Machtansprüche. Der CDU-Landesvorstand in Braunschweig sprach sich gestern Nachmittag bereits für Söder als Bewerber für die Merkel-Nachfolge aus.
Und nun? Sollte die Entscheidung am Dienstag in der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erzwungen werden, wäre das vor allem für Laschet ein riskantes Spiel: Unterliegt er dort, wäre seine Position als CDU-Bundesvorsitzender so stark beschädigt, dass manche einen Rücktritt für die einzig mögliche Konsequenz halten könnten. Verlöre Söder, wäre das für den bayerischen Ministerpräsidenten, der sich nach München zurückziehen würde, wohl durchaus verkraftbar. Beide indes hätten einen gewissen Ansehensverlust erlitten, denn sie hätten ihre Unfähigkeit zur Verständigung untereinander bewiesen.
Erinnerungen an das Jahr 1979
Beobachter wie der frühere CDU-Landesgeneralsekretär Dieter Haaßengier fühlen sich an das Jahr 1979 zurückerinnert, als der CDU-Bundes- und -Fraktionschef Helmut Kohl auf eine Kanzlerkandidatur zur Bundestagswahl 1980 verzichtete. Kohl hatte Niedersachsens Ministerpräsidenten Ernst Albrecht als Kandidaten für den Posten des Herausforderers von Regierungschef Helmut Schmidt (SPD) gewonnen, gegen ihn trat CSU-Chef Franz Josef Strauß an, Ministerpräsident von Bayern. Die Bundestagsfraktion wurde zum entscheidenden Gremium über die Kandidatur, und Strauß siegte nur, wie Haaßengier berichtet, weil Albrecht auf intensives Werben in der Bundestagsfraktion verzichtete.
Der damalige CSU-Landesgruppenchef Friedrich Zimmermann hingegen soll intensiv in der Bundestagsfraktion für Strauß mobilisiert haben – am Ende mit Erfolg. Dabei soll auch das Argument gefallen sein, ein Liberaler wie Albrecht könne kein Erfolgsgarant in vielen Wahlkreisen Bayerns und Baden-Württembergs sein. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen – mit dem winzigen Unterschied, dass Kohls Schicksal als CDU-Chef von der damaligen Personalentscheidung von vornherein unberührt bleiben konnte. Das kann man von Laschet keinesfalls behaupten. (kw)