Es ist schwierig, die Niedersächsischen Wirtschaftsgespräche im Schloss Herrenhausen in Hannover an diesem Montagabend pünktlich zu beginnen. In der Innenstadt feiern rund 40.000 Fans von Hannover 96 mit der Mannschaft den Aufstieg in die 1. Bundesliga. Die Straßen sind dicht. Pünktlich kommt nur, wer die Schleichwege bestens kennt. Im Schloss erwarten die rund 250 Gäste derweil die erste Liga der Wirtschaft. Die Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) haben die Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen und Continental, Matthias Müller und Elmar Degenhart eingeladen. Vor allem Müller sieht man nicht gerade jeden Abend bei einer Veranstaltung, und so ebbt das Gemurmel auch abrupt ab, als Müller den Saal betritt.

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Die geballte Aufmerksamkeit wird dann aber zunächst einmal dem Vorstandschef von Continental zuteil, der nicht nur für die Politik eine kräftige Standpauke bereit hält. „Es geht uns in Deutschland gut, aber ich möchte etwas Wasser in den Wein kippen“, sagt Degenhart zu Beginn und rechnet mit der deutschen Bildungspolitik ab. „Das Bildungssystem ist nicht mehr zeitgemäß. Wir spielen nicht in der ersten Liga. Wenn wir so weitermachen, wird das Folgen für unsere Wettbewerbsfähigkeit haben“, warnt der studierte Luft- und Raumfahrttechniker. Dabei geht es Degenhart ums Geld. Deutschland investiere mit 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weniger in die Bildung als der Durchschnitt der OECD-Länder mit 4,8 Prozent. Aber es geht Degenhart auch und gerade um die Bildungspolitik der Bundesländer. „Wir müssen uns fragen, ob wir uns einen Föderalismus im Bildungssystem erlauben können“, sagt er, und im Saal ist es so mucksmäuschenstill, dass man noch den Nachhall der Ohrfeige für die Bildungspolitik der Länder hören könnte.

Niedersächsische Wirtschaftsgespräche: Elmar Degenhart, Volker Müller und Matthias Müller (v.l.n.r.) – Foto: MB.

Wettbewerbsnachteile sieht der Manager auch in anderen Bereichen. In der Verkehrsinfrastruktur gebe es einen zu hohen Nachholbebarf, und die Industrie belasteten die weltweit höchsten Energiekosten. Dann fällt ein Satz, bei dem ein leises, kaum hörbares Raunen durch den Saal geht: „Fabriken zur Herstellung von Batteriezellen werden nicht bei uns in Deutschland entstehen. Wie soll das bei den Energiekosten funktionieren? Wir wären dem heutigen Stand zufolge nicht wettbewerbsfähig“, so Degenhart. Auch der VW-Vorstandsvorsitzende Müller stimmt zu. „Bei der industriellen Fertigung von Zellen spielen die Energiepreise eine enorm große Rolle. Wenn die Energiekosten in Deutschland so sind, wie sie sind, dann werden die Batteriefabriken nicht in Deutschland stehen.“ Ist der politische Traum von der Batteriefabrik in Niedersachsen damit ausgeträumt?

Die Politik spielt in Müllers Rede keine große Rolle. Im Zentrum steht dagegen der durch den Dieselskandal ausgelöste und aus Müllers Sicht nötige Kulturwandel bei Volkswagen. „Manchmal wirkt eine Krise wie ein Katalysator“, sagt der VW-Vorstandschef und gibt gleich Beginn eine Regel aus, die aus einem Managementseminar stammen könnte: „Kultur ohne Strategie ist ziellos, aber Strategie ohne Kultur ist wertlos.“ Dem VW-Manager geht es um Mentalität, um Haltung. „Einfach machen“, nennt er seine Maxime, mit der Betonung auf „machen“.

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Bei VW habe sich eine Kultur der Perfektion und der Absicherung etabliert, die er in der Rede auf seine Vorgänger Piech und Winterkorn zurückführt. Der Konzern müsse aber Abschied nehmen von falsch verstandenem Perfektionismus. „Man muss die eigene Komfortzone überwinden und Dinge einfach einmal ausprobieren, auch auf die Gefahr hin, dass man sich eine blutige Nase holt.“ Das sei schließlich auch der Kern von Unternehmertum. „Können wir nicht öfter mit 90 Prozent leben?“, fragt Müller. Das bringe mehr Tempo und Agilität. VW werde aber seine Kunden nicht zu Testfahrern machen, beruhigt er die VW-Kunden im Publikum. Zum „einfach machen“ gehört für den VW-Vorstandsvorsitzenden aber auch, die Produkte simpler zu gestalten. „Wir müssen vom Kunden her denken und nicht vom deutschen Ingenieurwesen aus.“ Gerade das „einfach machen“ sei dabei alles andere als einfach.

In Müllers Rede klingt auch der neue Sound der Demut bei Volkswagen an. „Die Zeiten sind vorbei, in denen wir in Wolfsburg meinten, alles zu können, alles zu wissen und alles alleine machen zu wollen. Zum neuen Volkswagen gehört, dass wir uns als Unternehmen öffnen.“ Müller setzt dabei auf den Mittelstand. „Wir müssen vom Mittelstand lernen. Wolfsburg ist nicht mehr der Mittelpunkt der Welt.“ (MB.)