„In jedem Landkreis wäre mindestens ein eigenes Krankenhaus sinnvoll“
Der Schritt löste landesweit durchaus Irritationen aus: Der Kreis Peine entschied sich im vergangenen Jahr, das defizitäre Krankenhaus mit 660 Mitarbeitern zu erwerben – und in eigener Regie zu betreiben. Das geschieht in einer Situation, in der landesweit reihenweise kleine und unwirtschaftliche Kliniken schließen zugunsten neuer, moderner und zentraler gelegenen Krankenhäuser für einen größeren Einzugsbereich. Erst Anfang der Woche hatte sich die Landtags-Enquetekommission für mehr Fusionen geworben. Was hat die Peiner zu ihrer abweichenden Linie bewogen? Landrat Franz Einhaus (SPD) äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.
Rundblick: Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Experten warnen davor, unwirtschaftliche kleine Kliniken künstlich am Leben zu erhalten – da dort bei fortdauerndem Facharztmangel keine ordentliche medizinische Versorgung möglich ist. Und in dieser Situation entscheidet sich der Landkreis, das defizitäre Klinikum, für das es keinen Käufer gab, nach der Insolvenz in Eigenregie zu betreiben?
Einhaus: Man kann das nur verstehen, wenn man den Blick weitet. Ein Krankenhaus ist nicht nur ein Ort für Operationen, sondern deutlich mehr. Wenn ein Landkreis verantwortlich ist für die Gesundheitsämter und die Seuchenbekämpfung, wenn er auch Katastrophenschutzbehörde ist, dann braucht er als Partner für regionale Gesundheitspolitik eben auch ein Krankenhaus. Die Gesundheitsinfrastruktur ist sonst einfach lückenhaft. Wir erleben doch überall einen Wandel der Medizin auf dem Land, und der betrifft eben auch die Kliniken. Wenn wir etwa Telemedizin organisieren wollen und die Landkreise dabei eine wichtige Rolle spielen, dann brauchen wir die Kompetenz einer eigenen Klinik. Würde das Krankenhaus in Peine schließen, hätte unser Kreis mit 135.000 Einwohnern kein eigenes Krankenhaus mehr.
Wichtig ist für uns, dass wir selbst als Landkreis auch mitreden bei dem, was im Krankenhaus und mit dem Krankenhaus geschehen soll. |
Rundblick: Also nur rein regionalpolitische Gründe – und keine, die auch auf die Qualität der Krankenversorgung zielen?
Einhaus: Doch, natürlich. Wir haben uns unsere Entscheidung nicht leicht gemacht, sondern Fachleute gefragt und eine Konzeption entwickelt. Die Experten haben uns geraten, ein Krankenhaus in einer Gegend zwischen zwei Oberzentren Hannover und Braunschweig zu betreiben – nicht mit 600 Betten wie ursprünglich, sondern vielleicht mit 200. Wir peilen ein „Zwei-Säulen-Konzept“ an mit einer Basisversorgung (Allgemeinchirurgie und Innere Medizin) und einem Zweig von Herz-Gefäßmedizin und Altersmedizin, inclusive 24-Stunden-Notfallversorgung. Wichtig ist für uns dabei, dass wir selbst als Landkreis auch mitreden bei dem, was im Krankenhaus und mit dem Krankenhaus geschehen soll.
Rundblick: Und im Ergebnis haben Sie dann eine Mini-Klinik mit dauerndem Zuschussbedarf. Dabei können die Landkreisbewohner auch ohne diese Klinik das nächste Krankenhaus in weniger als 30 bis 45 Minuten erreichen. Wollten Sie wider bessere Argumente mit dem Kopf durch die Wand?
Einhaus: Wir haben auch am Modell eines Netzes gearbeitet – eine Kombination der kommunalen Kliniken in Wolfsburg, Wolfenbüttel, Braunschweig und Hannover. Im Fernziel bin ich mir mit meinen Kollegen Oberbürgermeistern und Landräten und mit dem Regionspräsidenten von Hannover einig: Man könnte eine Achse bilden, man könnte auch in der Region Braunschweig kreisübergreifend Kliniken miteinander vernetzen und unter eine gemeinsame Dachgesellschaft stellen. Dann wäre der Landkreiseinfluss auf die Kliniken gewährleistet, und gleichzeitig hätten wir einen größeren Verbund, der gegen Risiken absichert. Aber wir haben gemerkt, dass sich das auch rechtlich und politisch nicht so schnell durchsetzen lässt. In den kommenden Jahren wird es daher wichtig sein, Kooperationsmöglichkeiten mit den kommunalen Häusern zu erschließen. Gegenwärtig steht bei den Krankenhäusern allerdings die Corona-Krise im Mittelpunkt.
Die Bedeutung der Gesundheitspolitik und der Vorsorge vor Katastrophen ist uns allen doch viel bewusster geworden. |
Rundblick: Was hat denn Corona mit ihrem Erwerb eines hochdefizitären Krankenhauses zu tun?
Einhaus: Die Bedeutung der Gesundheitspolitik und der Vorsorge vor Katastrophen ist uns allen doch viel bewusster geworden. Die Entwicklung hat noch einen zusätzlichen Anschub dafür gegeben, etwas auf die eigenen Beine zu stellen – auch zur Vorbereitung auf den Standard, den ein Landkreis heutzutage bieten muss. Im Übrigen ist der oft vorgetragene und auch von Ihnen wieder zitierte Vorwurf, das Krankenhaus sei defizitär und hätte nach der Insolvenz nie einen neuen privaten Betreiber gefunden, nur bedingt überzeugend. Ja, es stimmt, ein Käufer meldete sich nicht. Aber die Frage ist auch, welchen Wert ein regionales Krankenhaus in Zukunft haben soll. Die großen Klinikkonzerne prüfen, ob ein solches Haus in ihr Konzept passt, ob das Profil stimmt und vor allem, ob auch Profit winkt. Das ist nicht unser kommunaler Ansatz. Uns geht es darum, in der Nähe eine Klinik als Anlaufpunkt zu haben, die für die eigenen Kreisbewohner ein möglichst optimales Angebot sicherstellen kann. Wenn die Peiner nur noch die Wahl haben zwischen den Einrichtungen in Hannover und in Braunschweig, dann geht uns als Kommune die Mitbestimmung über das, was in der Krankenversorgung vor Ort geschieht, leider verloren. Das wollten wir vermeiden.
Rundblick: Die Frage sei erlaubt, ob das Fehler aus dieser Sicht nicht vielmehr darin liegt, dass die Landkreise in Niedersachsen immer noch zu klein geschnitten sind und wir eigentlich neue, leistungsfähige Landkreise brauchen – die dann auch zu neuen, leistungsfähigen Kliniken besser passen würden…
Einhaus: Die Frage können Sie stellen, und bekannt ist, dass ich etwa einer Fusion der Kreise Peine und Hildesheim offen gegenübergestanden habe. Aber es ist dann nicht so gekommen.